Trans*Identität und Selbstbefriedigung

Florian Friedrich • 20. September 2023

Tipps für Psychotherapeut*innen und Behandler*innen

In diesem Beitrag möchte ich behandelnden Psychotherapeut*innen, Psycholog*innen und Ärzt*innen Informationen, Tipps und Fragen zur Selbsterfahrung bereitstellen, damit sie mit dem Thema Selbstbefriedigung bei trans*Personen besser umgehen können. Besonders für trans*Jugendliche ist Masturbation nämlich ein schwieriges Thema und erfordert viel Behutsamkeit und Feingefühl.

Trans*Personen und Masturbation - Tipps für die Therapie

Trans*Personen gehen ganz unterschiedlich mit Sex und Masturbation um

Aufgrund ihrer Geschlechtsdysphorie tun sich viele trans* (transidente, transgender, transsexuelle, non-binäre, genderfluide und diverse) Jugendliche äußerst schwer mit Sexualität, Selbstbefriedigung und dem lustvollen Erkunden des eigenes Körpers.

In der Psychotherapie ist es deshalb immer sinnvoll, Jugendliche behutsam und deren Grenzen respektierend zu ermutigen, ihren Körper zu erkunden.

Viele trans*Menschen leben bereits vor hormonellen und operativen Maßnahmen ihre Selbstbefriedigung und Sexualität lustvoll und erfüllend aus. Dies kann mitunter sogar eine wichtige Selbsterfahrung sein.

Manche Jugendliche decken sich etwa ihre Geschlechtsorgane mit einem Tuch ab und befriedigen sich unter diesem Tuch selbst, wobei sie sich währenddessen vorstellen, dass sie sich schon in ihrem Wunschgeschlecht befinden. Hier bin ich immer wieder überrascht, wie kreativ Menschen mit ihrer Geschlechtsdysphorie umgehen und von selbst auf hypnotherapeutische Methoden und heilsame Imaginationen stoßen.


Eine feine Gratwanderung zwischen Tabuierung und therapeutischer Übergriffigkeit

Festzuhalten sei an dieser Stelle, dass es trans*Menschen gibt, die so viel Ekel, Abneigung, Selbsthass und Groll auf ihren Körper empfinden, dass ihnen Selbstbefriedigung oder Paarsexualität völlig unmöglich sind. Dies ist zu akzeptieren und ein Hinweis darauf, wie stark die Geschlechtsdysphorie bzw. trans*Identität ist.

Die Beschäftigung mit Selbstbefriedigung in der Arbeit mit trans*identen Jugendlichen ist eine Gratwanderung zwischen Tabuisierung und Überforderung der Jugendlichen (etwa durch grenzüberschreitendes Nachbohren und Konfrontieren).


Es ist ein Fallstrick, wenn ich als Psychotherapeut*in das Thema Selbstbefriedigung in der Arbeit mit trans*Personen tabuisiere, weil ich hier aufgrund eigener Schamgefühle zu befangen bin.

Das Wichtigste ist, dass unsere trans*Klient*innen spüren, dass wir authentisch und offen über Selbstbefriedigung und Sexualität sprechen können.

Ich selbst teile meine Offenheit gerne in folgenden Worten mit:

"Du weißt ja, dass ich auch Sexualberatung und Sexualtherapie anbiete. Wenn du also Fragen zu Liebe, Erotik, Partnerschaft, Selbstbefriedigung oder Sexualität hast, dann kannst du diese Fragen hier in diesem sicheren Rahmen immer ansprechen. Ich weiß z.B. von anderen trans*Jugendlichen, dass Selbstbefriedigung ein großes, manchmal auch sehr belastendes Thema sein kann."

Manchen trans*Jugendlichen hilft auch die Frage, wie sie sich selbst in Träumen, in erotischen Phantasien, in Imagination etc. erleben.


Sexualität und Masturbation sind keine Voraussetzungen für ein positives Gutachten

Es ist jedenfalls kein Grund, ein Gutachten bzw. eine Stellungnahme für Pubertätsblocker, Hormontherapien oder chirurgische Maßnahmen zu verweigern, wenn trans*Jugendliche keine Erfahrungen mit Sexualität haben.

Sexualität, Partnerschaften, Erotik, Liebe und Lust lassen sich nämlich nicht ärztlich oder therapeutisch verordnen. Dies wäre gewaltvoll und psychisch übergriffig. Das Wesentliche für ein positives Gutachten ist ein stabiles trans*identes bzw. geschlechtsdysphorisches Selbsterleben.


Fragen zur Selbsterfahrung

Wichtige Fragen, die Ihnen als Therapeut*in, Ärzt*in, Psycholog*in oder Pädagog*in in der Arbeit mit trans*Jugendlichen helfen können und welche Ihre eigene Sexualität betreffen, können sein:


  • Wie erlebe ich mich und meinen Körper bei der Selbstbefriedigung?


  • Wie stehe ich überhaupt selber zur Selbstbefriedigung?


  • Wie ist es mir selbst als Jugendliche*r mit meinem Körper und meiner Autoerotik gegangen?


  • Möchte ich überhaupt über Selbstbefriedigung und Sexualität sprechen? Wo sind hier meine eigenen Grenzen?


  • Was wurde mir als Kind und Jugendliche*r über Masturbation beigebracht? Wurden mir deshalb Strafängste und Schuldgefühle manipuliert?


  • Wurde ich religiös oder evangelikal erzogen? Wenn ja: Wie hat dies meine eigene Beziehung zu meinem Körper und zu meiner Autoerotik beeinflusst?


  • Kann ich mir das einmal vorstellen, im Körper des Gegengeschlechts Sex zu haben? Wie fühle ich mich dabei? Was löst dies in mir aus?


  • Habe ich mich schon einmal im Gegengeschlecht phantasiert, wenn ich Sex hatte oder mich selbst befriedigt habe?


  • Gibt es Zonen meines Körpers, die ich während der Selbstbefriedigung oder Paarsexualität abstoßend oder ekelig empfinde und für die ich mich schäme?


  • Kenne ich Selbstekel, der sich auf meinen Körper bezieht, oder Abneigung und Wut auf meinen Körper oder gewisse körperliche Merkmale?


  • Hatte ich nach der Selbstbefriedigung schon einmal Scham- oder Schuldgefühle?


  • Hatte ich nach Paarsexualität schon einmal Ekelgefühle?


  • Gibt es Körperzonen, die ich im Ganzkörperspiegel nicht gerne betrachte? Wenn ja, welche?
Rituelle Sexuelle Gewalt ist eine Legende
von Florian Friedrich 19. April 2025
Das Verschwörungsnarrativ von Michaela Huber Insgesamt gibt es mindestens 20 Definitionen von Ritueller Gewalt (RG). Dieser Artikel bezieht sich auf die Verschwörungstheorie der berühmten Traumatherapeutin Michaela Huber, ein Narrativ, das leider in der Therapieszene noch immer als selbstverständlich hingenommen und zu wenig hinterfragt wird. Lesen Sie in diesem Beitrag, warum Rituelle Sexuelle Gewalt (nach Michaela Huber) und Satanic Ritual Abuse (SRA) Legenden und klassische Verschwörungstheorien sind.
Supervision für Pflegeeltern / Adoptiveltern
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Unterstützung und Familienberatung Wenn Sie Kinder in Pflege nehmen oder adoptieren, dann kann Sie das neben allen Herausforderungen, die Kinder mit sich bringen, auch vor zusätzliche Aufgaben stellen. Das zuständige Jugendamt ermöglicht Ihnen auf Antrag, eine Supervision für Pflegeeltern / Adoptiveltern zu machen. Die Kosten werden durch das Amt der Salzburger Landesregierung übernommen.
Diagnostik aus hypnosystemischer Sicht
von Florian Friedrich 21. März 2025
Diagnosen sagen nichts über unsere Klient*innen aus Als Hypnosystemiker erlebe ich Diagnosen meist als trivialisierend und als eine die Komplexität reduzierende Vernichtung von Informationen. Zudem werden Diagnosen überwiegend völlig blind für den Kontext gestellt, in dem ein Symptom auftritt. Ziel dienlich sind Diagnosen aus hypnosystemischer Sicht dann, wenn Patient*innen sie wollen, weil sie dadurch Entlastung erfahren (was ich dann wieder utilisieren kann), oder eben für die Krankenkassen und Sozialversicherungsträger. Der Begründer der Hypnosystemik Gunther Schmidt erwähnt etwas augenzwinkernd, dass sich seine Klient*innen eine der häufigsten Diagnosen (etwa "mittelgradige depressive Episode") selbst auswählen dürfen (sie können aber auch ausgewürfelt werden), wobei wir die Diagnosen dann zusammen mit unseren Klient*innen auf möglicherweise negative Auswirkungen überprüfen sollten. 
Die Polyvagaltheorie in der Traumatherapie
von Florian Friedrich 20. März 2025
Was ist die Polyvagaltheorie? Die Polyvagaltheorie geht auf den Psychiater Stephen W. Porges zurück. Sie beschreibt eine neue Sichtweise auf das Autonome Nervensystem . Dieses scannt permanent unsere Umwelt und andere Menschen ab, ob wir sicher oder bedroht sind. Jener Vorgang ist unwillkürlich und ist uns meist völlig unbewusst. Sicherheit ist für uns im Leben das Wichtigste. Das Parasympathische Nervensystem teilt sich noch einmal auf und hat ein soziales Nervensystem , den ventralen Vagus, als Zweig. Dieses wird durch Traumata massiv beeinflusst und arbeitet dann anders. Das Soziale Nervensystem wird durch die Beziehung, Fürsorge und Coregulation unserer Eltern bzw. ersten Bezugspersonen gut ausgebildet und kann dann effektiv und optimal arbeiten. Übrigens: Die Polyvagaltheorie ist in der Wissenschaft umstritten und konnte bis heute empirisch nicht nachgewiesen werden . Das ändert aber nichts an der Praxis der modernen Traumatherapie. In der praktischen Umsetzung hilft die Polyvagaltheorie, und wer heilt, der hat bekanntlich recht.