Mag. Florian Friedrich, BA

Psychotherapeut (Existenzanalyse)

in Salzburg / Hamburg


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Der Feind im eigenen Inneren: verinnerlichte Homophobie

Florian Friedrich • 2. Juli 2024

Was versteht man unter internalisierter Homophobie und wie entsteht sie?

Internalisierte Homophobie meint das Phänomen, dass schwule Männer, bisexuelle Menschen und lesbische Frauen sich wegen ihrer Homosexualität bzw. Bisexualität selbst hassen und zutiefst schämen. Sie lehnen sich dabei selbst ab, fühlen Ekel, Schuldgefühle und toxische Scham. Statt "Homophobie" wird "Homonegativität" als Synonym verwendet.

Internalisierte Homophobie ist ein typisches Entwicklungstrauma.

Der Feind im eigenen Inneren: verinnerlichte Homophobie

Bereits im dritten Lebensjahr steht fest, welche sexuelle Orientierung ein Mensch hat. Häufig erkennen Eltern (mehr unbewusst als bewusst), dass ihr Sohn bzw. ihre Tochter anders ist und legen eine subtile, aber auch ganz offen ablehnende Haltung an den Tag. Das Kind bemerkt und spürt dieses nicht-akzeptiert-Werden und schaltet nun den Selbstschutzmechanismus ein: Es identifiziert sich mit den ablehnenden Eltern.

Dabei kommt es zu frühen Kränkungen, Entwicklungstraumatisierungen und Bindungstraumen. Die Betroffenen fühlen sich fremd, abgeschnitten und nicht beheimatet und haben fortan toxische Scham- und Schuldgefühle

Das Kind muss die eigenen gleichgeschlechtlichen Empfindungen abwehren und verdrängen, was wiederum zu unterschiedlichen Symptomen führt.

Aufgrund unserer heteronormativen Sozialisation ist kein Mensch, egal ob hetero-, homo- oder bisexuell, völlig frei von verinnerlichter Homophobie.


Sie entwickelt sich, wenn wir feindselige, selbstschädigenden Normen und Wertvorstellungen unseres sozialen Umfelds in unser Inneres hineinnehmen und ist ein Copingmechanismus. Im schlimmsten Fall bilden sich Täterintrojekte aus.

Wenn ein Kind auf Ablehnung seiner Bezugspersonen stößt bzw. nicht um seiner selbst willen geliebt und angenommen wird, muss es sich suggerieren, dass es dennoch geliebt wird. Das tut es, indem es die Ablehnung und Kälte seiner Bezugspersonen auf sein eigenes (Fehl-)Verhalten zurückführt, es sei ja „unartig“, es gehöre bestraft. Auch übernehmen, d.h. internalisieren Kinder die Gewalt Ihrer Bezugspersonen/Eltern und empfinden diese als gut. Der Feind ist nun im eigenen Inneren.

Film: "Homophobie begegnen"

Woran erkennt man selbst, ob man an verinnerlichter Homophobie leidet?

Verinnerlichte Homophobie geht mit der oben genannten toxischen Scham einher, die den Betroffenen ständig einflüstert: "Ich bin nichts wert. Ich bin nichts."

Dabei erleben wir uns als nichtig, als ob wir keinen Anspruch hätten, zu existieren.

Diese toxische Scham erklärt neben Diskriminierungserfahrungen und Stigmatisierungen die höheren Suizidraten und die erhöhte Suizidalität unter LGBs. Sie sagt uns, dass wir völlig falsch und verkehrt seien und hat auch Suchtverhalten, Selbsthass, Depressionen und eine generelle Ängstlichkeit zur Folge.

Diese Symptome machen es fast unmöglich, eine erfüllte Partnerschaft zu führen.


Was sind typische Symptome von verinnerlichter Homophobie?

1. Identitätskrisen

Gerade beim Coming Out beobachten wir zwei große Schwierigkeiten:

Erstens haben vor allem junge Menschen Angst, aus der Norm zu fallen und von ihren Peer Groups ausgeschlossen zu werden. Zweitens verdrängen viele LGBs ihre gleichgeschlechtliche Orientierung bis ins hohe Alter.

Nur etwa ein Drittel akzeptiert sich selbst und hat einen guten Zugang zu den eigenen Emotionen und Bedürfnissen. Ein weiteres Drittel hat eine ambivalente Identität und stimmt dann etwa der folgenden Aussage zu: „Es ist für mich okay, wenn ich schwul/lesbisch/bisexuell bin, aber eigentlich wäre ich doch lieber heterosexuell und hätte eine Familie“.

Das letzte Drittel bildet folgende Mechanismen aus: Verdrängung, Abspaltung, Selbsthass und wenig Zugang zur inneren Gefühlswelt.


2. Schwerste Selbstvorwürfe und Selbsthass


3. Schuldgefühle gegenüber sich selbst, ein so genanntes „Schlechtes Gewissen“ (Über-Ich)


4. Schamgefühle gegenüber der sozialen Umwelt und toxische Scham als ein spezifisches Traumafolgesymptom.


5. Affektive Störungen, darunter Depressionen und Manien

Die Depression ist als ein Erschöpfungszeichen der ständigen Angst und des ständig gegen sich selber Agierens zu werten. Die Manie hingegen ist eine interne Überkompensation und Gegenreaktion auf Depressionen und innere Leere. Hierbei lassen sich ein extremer Alkoholkonsum, Promiskuität und Hedonismus beobachten.


6. Eine deutlich höhere Rate an Suiziden und Suizidversuchen. Bis zu 17 Prozent aller Schwulen, Lesben und Bisexuellen haben Suizidversuch hinter sich.


7. Drogenmissbrauch oder Suchtverhalten, Alkoholismus

Nicht nur bei MSM, auch bei lesbischen und bisexuellen Frauen finden sich viel Alkoholmissbrauch und Alkoholismus. Bei Männern ist Alkohol oft sehr positiv besetzt. Bei Frauen besteht diesbezüglich eine größere Scham. Ein großes Problem sehe ich darin, dass Alkohol, Cannabis und andere Drogen bei einer Suchtentwicklung oder Missbrauch die Persönlichkeitsentfaltung erschweren. Probleme wie internalisierte Homophobie werden hierbei verdrängt, sodass es nicht zu einer Auseinandersetzung mit den seelischen Problemen kommt.


8. Selbstschädigendes Verhalten

Darunter fallen Drogenmissbrauch, Selbstverletzungen und ungeschützter Sexualverkehr aufgrund eines unbewussten Strafbedürfnisses.


9. Phobien und Hypochondrien

Hier beobachtet man vor allem die Luiphobie (die irrationale Angst vor einer Infektion mit Syphilis), die HIV-Phobie, die Tapinophobie (die Angst eine ansteckende Krankheit zu haben) und die Erotophobie (die Angst vor Sexualität).


10. Generalisierte Angststörungen


11. Persönlichkeitsstörungen

Bei Persönlichkeitsstörungen handelt es sich um gravierende Veränderungen der Persönlichkeit, welche sich u.a. in gestörten Denk-, Wahrnehmungs- und Interaktionsmustern bemerkbar machen.

Oftmals kommt es zu narzisstischen Störungen, aber auch zu abhängig-dependenten, schizoiden, histrionischen Persönlichkeitsentwicklungen und zum Borderline-Typus. Gerade Narzissmus lässt sich in der Schwulen- und Lesbenszene gut ausmachen: Die Betroffenen sind leicht gekränkt, unfähig, mit Frust umzugehen, haben impulsive Wutausbrüche oder legen ein „zickiges“ Verhalten an den Tag, wenn ihre Wünsche nicht erfüllt werden. Sie brechen rasch ihre Freundschaften und Partnerschaften ab, wenn es zu alltäglichen Kränkungen, Neid- und Konkurrenzgefühlen kommt. Dabei haben sie kaum Einfühlungsvermögen und Empathie.


12. Psychosomatische Erkrankungen

Durch die herabgesetzte Immunabwehr aufgrund des chronischen Stress' und der Depressivität kommt es zu Rückenschmerzen, permanenter Müdigkeit und Erschöpfung, Kopfschmerzen, Schlafstörungen oder chronischen Erkrankungen wie Allergien und Asthma.


13. Rationalisierungen

Beim Rationalisieren werden vermeintlich vernünftige Gründe vorgeschoben. Wir „vernünfteln“ und schneiden uns auf diese Weise von unseren eigenen Bedürfnissen und Emotionen ab.

Rationalisierungen sind dann problematisch, wenn wir eigene Ängste und Projektionen unseren Mitmenschen überstülpen. Wir geben dann vor, dass wir uns bei unseren Eltern, den Vorgesetzten, den Freundinnen, den Arbeitskollegen etc. nicht outen wollen, um diese zu schonen. In Wirklichkeit wollen wir uns aber selbst schonen und umgehen damit unter Umständen wichtige Entwicklungsschritte zu einer selbstbestimmten, erwachsenen Identität und Persönlichkeit. Der/die Betroffene drückt sich also vor einer Konfrontation mit dem homophoben Umfeld, was allerdings je nach Umständen auch sinnvoll, schützend, notwendig und selbstfürsorglich sein kann.


14. Flucht in eine Subkultur

Ein Hinweis auf verinnerlichte Homonegativität ist dies erst dann, wenn es zu Spaltungsmechanismen kommt. Fortgehen und die Identifikation mit der LGB-Szene sind definitiv kein Hinweis auf verinnerlichte Homophobie, sondern gesund und identitätsstiftend. Es geht also um die Spaltung und um die Flucht in ein Ghetto.

Ein Beispiel: Herr C. ist ein sehr angepasster Mensch, der sich schwer durchsetzen kann und als kaufmännischer Angestellter arbeitet.

Er hat ein großes Problem mit seiner Homosexualität. Weder seine ArbeitskollegInnen, noch seine Familie noch sein Freundeskreis wissen darüber Bescheid. Am Wochenende geht Herr C. gerne lange in der Schwulenszene fort, trinkt viel zu viel Alkohol, hat dann ungeschützten Sex mit wechselnden Sexualpartnern und wacht am nächsten Tag häufig mit Filmriss und schwerem Kater auf. Er schämt sich für sein Verhalten. Herr C. wird zunehmend depressiv, fühlt sich leer und ausgelaugt und ist mit seinem Leben sehr unglücklich. Als er sich selbst als "versautes und promiskes Schwein" beschimpft, ist ein guter Freund von ihm schockiert und legt ihm eine Psychotherapie nahe.


15. Provokantes, exaltiert „tuntiges“ Verhalten als „Flucht nach vorne“ und Rebellion

Die ist ein paradox erscheinender Selbstschutz gegenüber Diskriminierungen.

Sehr schön bringt es der Psychoanalytiker Udo Rauchfleisch auf den Punkt, wenn er schreibt:

Durch ein besonders »tuntenhaftes«, mitunter bis zur Karikatur getriebenes effeminiertes Auftreten ironisieren“ homo- und bisexuelle Männer etwa ihre eigene Lage und mildern die ihnen von der Umgebung entgegengebrachte Verachtung. Sie treten damit eine »Flucht nach vorne« an und schützen sich auf diese Weise vor noch tieferen Verletzungen. Die – nur mehr oder weniger bewußte – innere Argumentation könnte man folgendermaßen umschreiben: » Wenn ich ohnehin Diskriminierungen und Verletzungen erfahre, will ich wenigstens wissen, warum ich dies alles erleiden muß. Indem ich mich den Menschen meiner Umgebung so provokativ präsentiere, liefere ich ihnen – und mir – handfeste Gründe für die mir zugefügte Ausgrenzung.« Dies ist, so paradox es erscheinen mag, tatsächlich ein gewisser Schutz, denn es macht dem Betroffenen etwas verständlich, was angesichts der irrationalen Quellen, aus denen Vorurteile und Diskriminierungen Lesben und Schwulen gegenüber gespeist werden, logisch nicht nachvollziehbar ist.“*


Auch unter lesbischen und bisexuellen Frauen gibt es derartige Mechanismen. Die Betroffenen sind noch immer stark mit dem Gegen-Bild des Aggressors identifiziert. Das beschriebene „tuntige“ Verhalten kommt einer Rebellion gleich.


Kritisch möchte ich hier anmerken, dass es eine Jahrzehnte-alte Tuntenkultur gibt, die nicht durch Pathologiemodelle erklärt werden kann. Ob jemand eine Tunte ist, weil er unter verinnerlichter Homophobie leidet oder weil er über eine selbstsichere Identität verfügt, können wir nicht von außen erkennen.


*Rauchfleisch, Udo, Schwule • Lesben • Bisexuelle. Lebensweisen • Vorurteile • Einsichten, Göttingen 20013, S. 31.


16. Die Unfähigkeit zu tiefgehenden zwischenmenschlichen Beziehungen und Partnerschaften

Eigene Verletzungen werden dabei oft weitergegeben oder wiederholt (Wiederholungszwang). Aufgrund ihrer Selbstablehnung empfinden sich viele Schwule, Lesben und Bisexuelle als nicht liebenswert. Häufige Abbrüche von Beziehungen, Partnerschaften und Freundschaften sind die Folge.

Die Betroffenen haben aufgrund ihres Entwicklungstraumas und ihrer Bindungsschwächen immense Schwierigkeiten, stabile Beziehungen aufzubauen und zu pflegen (auch wegen der Komorbiditäten).

Beachte: Bindungsunfähigkeit und Beziehungsstörungen sind kein spezifisch homosexuelles Phänomen. Diese Störungen entstehen in der Sozialisation und sind vom homophoben Umfeld zu verantworten. Je akzeptierender und weniger homophob eine Gesellschaft ist (inklusive rechtlicher Gleichstellung, eingetragener Partnerschaften, Adoption von Kindern u.v.m.), desto eher finden homosexuelle und bisexuelle Männer und Frauen auch zu tiefgehenden, erfüllenden Partnerschaften und entwickeln Mut, ihre eigenen Beziehungsmodelle zu finden (offene oder geschlossene Partnerschaften, Mehrfachbeziehungen, Polyamorie usw.).


17. Anfeindung mit anderen Schwulen, Lesben und Bisexuellen und Spaltung in gute und schlechte Homosexuelle/Bisexuelle

Auch das ist ein Anzeichen für verinnerlichte Homophobie, nämlich ein unreflektierter und undifferenzierter Spaltungsmechanismus.

Ein Beispiel: Bei einer Podiumsdiskussion diskutieren homophobe Menschen und schwule/lesbische/bisexuelle über homosexuelle Liebe. Es finden sich Frauen und Männer, die offene homosexuelle Partnerschaftsmodelle leben und solche, die sich in geschlossenen und traditionellen Beziehungen befinden. Letztere beginnen auf einmal, die Schwulen und Lesben subtil abzuwerten, die in offenen Beziehungen leben. Sie unterstellen ihnen, dass das keine Liebe sei und verunglimpfen offene Partnerschaften. Sie werten sich selbst durch die Abwertung der anderen auf.

Darüber hinaus geben in anonymen Umfragen zahlreiche LGBs an, dass sie sich unwohl fühlen, wenn sie mit anderen LGBs, femininen Schwulen, Tunten, männlichen Lesben, Butchs, Cross-Dressern etc. im öffentlichen Raum gesehen werden - ein deutlicher Hinweis auf Selbstablehnung und eine fragile Identität.


18. Körperliche und physische Gewalt gegen andere Schwule, Lesben und Bisexuelle

Menschen, die selber homosexuelle Neigungen haben und diese verdrängen, projizieren ihren Selbsthass häufig nach außen. Sie bekämpfen dann offen schwul, lesbisch und bisexuell Lebende – meist mit Worten und Taten, mitunter aber auch mit psychischer und physischer Gewalt. Ein besonders pathologisches Phänomen stellen schwule Neonazis dar.

Film von Rosa von Praunheim: "Männer, Helden und schwule Nazis"

19. Wenn man froh ist, dass einem die anderen die eigene Homosexualität nicht ansehen

Hierbei handelt es sich um toxische Scham, denn jemandem, der zu sich gefunden hat, ist es gleich, ob man ihm seine Homosexualität ansieht oder nicht.

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