Mag. Florian Friedrich, BA
Psychotherapeut (Existenzanalyse)
Mail: florian.friedrich@psychotherapie-salzburg.de
Adressen: Innsbrucker Bundesstraße 47
und Fürstenallee 9
5020 Salzburg
Österreich
Mag. Florian Friedrich, BA
Psychotherapeut (Existenzanalyse)
in Salzburg / Hamburg
Wichtig: Ich kann erst ab Anfang März 2025 wieder freie Plätze und Erstgespräche anbieten.
Menschen, die HIV-positiv sind, schämen sich oft nicht nur für ihre HIV-Infektion, sondern haben mitunter starke Schuldgefühle, die ihnen von der Gesellschaft, von Ämtern, Institutionen, Behörden, Systemen oder psychisch übergriffigen Menschen manipuliert werden.
Lesen Sie in diesem Beitrag, warum viele HIV-positive Personen irrationale Schuldgefühle wegen ihrer HIV-Infektion haben und was Sie als Betroffene*r tun können, um Ihre Schuldgefühle zu mildern und freundlicher mit sich selbst umzugehen.
Ich biete in Zusammenarbeit mit der Aidshilfe Salzburg kostenlose Psychotherapie und psychologische Beratung an, wenn Sie HIV-positiv sind, im Bundesland Salzburg leben und ein geringes Einkommen haben (Regelung für wirtschaftlich Schwache).
Obwohl HIV-positive Menschen heute gar nicht mehr infektiös sind, wenn sie die HIV-Therapie konsequent einnehmen, leiden zahlreiche Betroffene unter massiven Schuldgefühlen wegen ihrer Infektion.
Im Gegensatz zur Scham, die unsere Würde bewahren möchte und uns vor dem erniedrigenden Blick der Mitmenschen zu schützen sucht, haben Schuldgefühle eine andere grundsätzlich nützliche Funktion: Sie wollen uns darauf hinweisen, dass wir einen Fehler gemacht haben, für den wir Wiedergutmachung leisten sollten. Wir haben somit unseren Mitmenschen oder uns selbst Unrecht angetan, eben Schuld auf uns geladen.
Damit haben Schuldgefühle einen evolutionsbiologischen Vorteil: Sie sichern unser soziales und individuelles Überleben, stärken Partnerschaften und den Zusammenhalt von Gruppen, Familien und Sippen.
Schuldgefühle lassen sich allerdings auch sehr leicht anerziehen, sozialisieren und manipulieren. Wir fühlen dann starke Schuldgefühle, obwohl wir gar kein Unrecht begangen haben.
Bei HIV-Infektionen finden Schuldzuschreibungen und das Manipulieren von Schuldgefühlen meist auf einer systemischen gesellschaftlichen Ebene statt und sind mit Stigmatisierungen, Vorurteilen, schlechter medialer Berichterstattung, Benachteiligung, Spaltungsprozessen und Diskriminierung verbunden.
All diese vielfältigen Schuldzuschreibungen, kollektiven Abwehrmechanismen und Stigmatisierungsprozesse fördern irrationale Schuldgefühle bei den Betroffenen.
Irrationale oder manipulierte Schuldgefühle können uns plagen und malträtieren, und zwar auch dann, wenn wir gar keine reale Schuld auf uns geladen haben. Wir fühlen uns dann immer schuldig, obwohl wir gar nichts zu verantworten haben. Diese Schuldgefühle haben keine sinnvolle Funktion mehr, verselbständigen sich und führen zu einem starken Leidensdruck.
Schuldgefühle können, wie oben bereits erwähnt, leicht anerzogen und manipuliert werden. Menschen, die durch sexuelle, körperliche, religiöse, psychische und emotionale Gewalt traumatisiert wurden, fühlen sich permanent und überall schuldig, als ob sie die alleinige Verantwortung für ihre Mitwelt und ihre Mitmenschen hätten. Sie haben dann schwere Schuldgefühle, wenn sie anderen Menschen eine Grenze setzen oder für sich selbst und ihr Eigenes eintreten, sofern sie dies überhaupt können.
Schuldgefühle gehen zudem immer auch mit der Angst vor Beziehungsverlust und sozialem Ausschluss einher.
Machen mir konkrete Personen, aber auch die Gesellschaft oder Systeme immer wieder Schuldgefühle, dann bilden sich im Laufe der Zeit maligne Ich-Anteile (Ego-States) aus. Der Feind ist sozusagen in den eigenen Reihen. Ich habe Strafängste und Schuldgefühle, auch dann, wenn ich nichts verbrochen habe.
Zudem können Gefühle von Hilflosigkeit, Ohnmacht und das ausgeliefert-Sein an psychische Gewalt und Diskriminierungen Schuldgefühle noch zusätzlich verstärken. Ich sehe fortan die Schuld für erlittene Stigmatisierungen bei mir selbst. Durch dieses intrapsychische Victim-Blaming und die Flucht nach vorn fühle ich mich weniger ausgeliefert und ohnmächtig.
Psychodynamisch ist es für uns nämlich kurzfristig entlastender und erträglicher, Schuldgefühle zu empfinden und uns selbst für erlittenes Unrecht verantwortlich zu machen als uns einzugestehen, dass wir völlig hilflos und ausgeliefert sind, wenn wir Opfer von Diskriminierung bzw. struktureller Gewalt werden. Schuldgefühle lassen mich zumindest vermeintliche und illusionäre Kontrolle über eine Situation erleben, allerdings zu einem sehr hohen Preis, weil ich ja zugleich unter diesen Schuldgefühlen leide, langfristig immer selbstunsicherer werde und weniger Glück erlebe.
Daher ist es so wichtig, zwischen Schuld und Schuldgefühlen zu differenzieren.
1. Auf Distanz gehen und Schutzräume
Der erste Schritt beginnt in bewussten Auszeiten, Freiräumen, sicheren Zeiten und Orten. D.h. ich mache, wo und wann immer es mir möglich ist, bewusst Urlaub von Menschen, Institutionen, Systemen und Organisationen, die mir Schuldgefühle oder Ängste wegen meiner HIV-Infektion machen und gehe zeitlich und räumlich auf Distanz. Hier können oft ein paar Stunden ausreichen. Ich kann mich mit Freund*innen treffen, ins Kino gehen, einen Spaziergang machen u.v.m.
Bei langfristiger und systematischer Diskriminierung allerdings (etwa am Arbeitsplatz, Stigmatisierung durch Ämter und Behörden, im Gesundheitswesen) braucht es oft zusätzlich Hilfe von außen, etwa durch die Arbeiterkammer, durch die AIDS-Hilfen, durch Antidiskriminierungseinrichtungen, durch psychologische oder psychotherapeutische Unterstützung.
2. Sodann versuche ich, eine Vogelperspektive einzunehmen.
Ich blicke von Oben bzw. aus guter Distanz auf die Situation. Wenn ich z.B. starke Schuldgefühle habe, dann kann ich versuchen, zwischen dem Schuldgefühl (das bei 100 Prozent liegen kann, wenn wir manipuliert werden) und tatsächlicher Schuld bzw. erwachsener Verantwortung zu unterscheiden (diese kann bei null Prozent liegen). Für echte Schuld bzw. Verfehlungen können wir uns dann entschuldigen und angemessene Wiedergutmachung leisten, wobei dies m.E. bei einer HIV-Infektion nicht notwendig ist.
Oft werden wir dann im Laufe der Zeit auf Wut, Empörung und Zorn in uns stoßen, wenn wir erkennen, dass es die anderen sind, sie sich schuldhaft, übergriffig, grenzüberschreitend oder gewaltvoll gegenüber uns verhalten. Diese aggressiven Emotionen sind gesund und ein erster wichtiger Schritt zu einem besseren Selbstwerterleben.
Ein HIV-positiver Mensch könnte dann erkennen, dass sein Schuldgefühl bei 80 Prozent liegt, dass bei ihm aber keine tatsächliche Schuld vorliegt. Im Gegenteil: Seine erwachsene Verantwortung liegt gerade darin, dass er sich schützt, gut mit sich selbst umgeht und sich von Personen distanziert, die sich negativ gegenüber HIV-positiven Menschen äußern oder diese aktiv diskriminieren.
Auf diese Weise kann ein ein*e HIV-positive*r Betroffene*r erkennen, dass seine/ihre Schuldgefühle nicht authentisch aus ihr/ihm selbst kommen, sondern dass diese durch Mitmenschen (oder gesellschaftliche Systeme, Institutionen) stark manipuliert und eingesät werden.
Ihre/seine eigene Verantwortung sieht der/die Betroffene darin, sich zu schützen und eine gute Selbstfürsorge zu entwickeln, wenn sie/er sich manipuliert fühlt.
Denn je selbstbewusster und selbstsicherer ein Mensch wird, je liebevoller und akzeptierender er mit sich selbst umgeht, desto mehr wird er sich auch schützen können und sich auf gesunde Weise distanzieren bzw. sich bei Antidiskriminierungsstellen oder einer AIDS-Hilfe Unterstützung suchen.
4. Sich selbst etwas Gutes tun, d.h. entgegengesetzt zu meinen Schuldgefühle zu handeln
Wichtig ist hier ein gesunder und selbstfürsorglicher Umgang mit mir. Ich darf mich verwöhnen und es einfordern, dass andere Personen gut und wertschätzend mit mir umgehen.
Folgende Fragen können mich hierbei unterstützen
Folgende Verhaltensweisen können dabei langfristig schädlich sein:
Über viele Jahrhunderte hinweg waren in unserer Kultur Sexualität, sexuell übertragbare Krankheiten, Schuldgefühle und Strafängste eng miteinander assoziiert. Schuldgefühle und Strafängste befinden sich somit nach wie vor in unserem kulturellen Unbewussten. Zudem werden Promiskuität, Homosexualität, Bisexualität und verschiedene Sexualpraktiken auf gesellschaftlicher Ebene noch immer mehr oder weniger subtil abgewertet. Menschen, die aufgrund ihrer Sexualität oder sexuellen Orientierung bereits diskriminiert wurden, verinnerlichen Schuldzuschreibung durch andere umso rascher und tiefgehender.
Wird etwa einem schwulen Mann schon immer mit dem Risiko einer HIV-Infektion gedroht ("Als Schwuler musst du besonders gut aufpassen! Viele haben HIV."), so können dessen Schuldgefühle und Selbstabwertungen nach einer Infektion umso schwerer ausfallen. Die verinnerlichte Homophobie bzw. Homonegativität trifft dann auf manipulierte Schuldgefühle. Die Infektion mit HIV bestätigt das Vorurteil, die Diskriminierung und das Stigma.
HIV wird somit automatisch als eine schmutzige, moralisch verwerfliche Infektion verunglimpft, aber auch alle Menschen, die sich damit infiziert haben.
Schuldgefühle sind per se etwas Sinnvolles, sie gehören zur Conditio Humana und regulieren unser soziales Zusammenleben. Wir sollten Schuldgefühle aber immer auf unsere tatsächliche Schuld und Verantwortung hin überprüfen, da gerade Schuldgefühle leicht zu manipulieren sind, etwa durch Schuldzuschreibungen von außen, durch Doppelmoral und Moralvorstellungen.
Manche irrationale Schuldgefühle befinden sich zudem so sehr in unser kollektives Unbewusstes eingeschrieben, dass wir sie gar nicht mehr hinterfragen oder ihren Ursprung ausmachen können.
In diesem Beitrag habe ich versucht aufzuzeigen,
Dies erfordert oft genauso viel Übung, Ausdauer und Geduld, wie wenn wir ein Musikinstrument neu erlernen, kann aber unser Leben erleichtern und uns viel innere Freiheit verschaffen. Denn dann ist auch mit der Diagnose HIV, das heute hervorragend medizinisch behandelt werden kann, ein glückliches, sinnstiftendes und erfülltes Leben möglich.
Die Diagnose HIV-positiv kann dann zum Appell oder zur Chance werden, das eigene Leben positiv zu verändern, uns weiterzuentwickeln, mehr zu uns selbst zu finden, HIV gut anzunehmen und in unsere Leben zu integrieren. Wir können trotz oder gerade wegen HIV immer wieder neu anfangen, jeden Tag. Es ist nie zu spät.