Mag. Florian Friedrich, BA

Psychotherapeut (Existenzanalyse)

in Salzburg / Hamburg


Wichtig: Ich kann erst ab Anfang Februar 2025 wieder freie Plätze und Erstgespräche anbieten.

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Die Diagnose HIV-positiv mitteilen

Florian Friedrich • 6. August 2024

Was muss ich beachten, wenn ich als Berater*in oder Ärzt*in ein HIV-positives Testergebnis mitteile?

Obwohl HIV heute eine gut zu behandelnde Krankheit ist, die Betroffenen eine durchschnittliche Lebenserwartung haben und bei konsequenter Einnahme der HIV-Therapie (HAART) das Immunschwächevirus nicht mehr auf andere übertragen können, haben viele Personen noch immer existentielle Ängste wegen der Infektion und reagieren auf körperlicher und psychischer Ebene mit Todesangst, wenn sie ein HIV-positives Testergebnis erhalten.


Erfahren Sie in diesem Artikel, was sie als Ärzt*in oder Berater*in beachten können, um die Diagnose HIV-positiv möglichst kompetent mitzuteilen.

Die Diagnose HIV-positiv mitteilen

Film: "Interview zu HIV & Aids mit Dr. Weiß | Schwerpunkt Arzt in Fürth"

Warum haben Menschen noch immer so große Angst vor HIV?

Menschen assoziieren HIV nach wie vor mit Sterben, Tod und massiver Bedrohung. Dies ist seit Jahrzehnten in unserem kulturellen Gedächtnis gespeichert. Aufgrund der hohen Todes- und Sterberaten und des schlechten gesellschaftlichen Umgangs mit HIV in den 1980er und 1990er Jahren können wir HIV als ein kollektives Trauma betrachten. In der Trauma-Forschung gilt mittlerweile als gesichert, dass kollektive und transgenerationale Traumen bis zur achten Generation fortdauern können und zu gesellschaftlichen Schäden und Symptomen führen. Dies stellt an uns als professionelle Helfer*innen die Aufgabe, möglichst gut, entspannt und konstruktiv mit dem kollektiven Trauma HIV umzugehen.

Das Mitteilen von Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STI) kann zwar auch starke Schamgefühle bei unseren Patient*innen / Klient*innen triggern, die wir durch Ruhe und Zugewandtheit gut regulieren können. Allerdings habe ich es noch nicht erlebt, dass Klient*innen / Patient*innen dabei von Angst überflutet werden, weshalb ich mich in diesem Artikel auf das Thema HIV beschränke. Sollten andere STIs jedoch Todesangst bzw. existentielle Ängste auslösen, so gilt selbstverständlich dasselbe, was ich in diesem Beitrag zu HIV schreibe.


Für unser Stammhirn ist die Diagnose bedrohlich

Erleben wir etwas als Bedrohung, so reagiert unser Stammhirn innerhalb von Millisekunden (also viel schneller als unsere kognitive Verarbeitung) völlig unwillkürlich mit Angst und Stress und veranlasst, dass Adrenalin und Noradrenalin ausgeschüttet werden, dass unser Puls und Blutdruck ansteigen, wir flacher atmen, unsere Muskulatur anspannen, und sich unser Körper auf Kampf, Flucht oder Freeze vorbereitet.

Zugleich wird ein zweites System aktiviert, das viel langsamer ist, nämlich die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse). Dieses System aktiviert das Ausschütten des Stresshormons Cortisol durch die Nebennierenrinde. Gerade dieses Stresshormon agiert als eine „Stressbremse“, d.h. es kommt zu einer dauerhaften zu starken Stressreaktion.

Sind Menschen derart gestresst, so sind sie in Beratungssituationen nach dem Erhalt der Diagnose HIV nicht mehr durch Kognitionen und durch kognitive Inhalte, wie etwa die Botschaft, dass HIV heute nicht mehr gefährlich ist, zu erreichen. In der Regel schalten sie auf Durchzug, d.h. sie nicken zwar und stellen Fragen, können aber den Inhalt unserer kognitiven Botschaften nicht mehr verarbeiten und abspeichern, weil sie in die sympathische Übererregung oder in die parasympathische Untererregung fallen.

Film: "Seit 20 Jahren HIV-Positiv: Über Stigmata und Zukunftspläne"

Wie können wir uns dann verhalten?

Nicht alle Menschen geraten in eine derartige Übererregung bzw. Untererregung. Hier kommen dann kognitive Inhalte und Botschaften gut an.

Wenn jemand jedoch, wie oben beschrieben, in einen derartig körperlichen und psychischen Ausnahmezustand fällt, dann kann er kognitive Inhalte nicht mehr aufnehmen. Dies ist von außen nicht immer klar und deutlich zu erkennen, denn oft stellen die Betroffenen Fragen, nicken und scheinen zuzuhören.


Folgende Strategien, Haltungen und Verhaltensweisen können Ihnen dann als Berater*in oder Ärzt*in helfen:

  • Erden und versorgen Sie sich gut, bevor sie das Testergebnis zurückgeben. Nehmen sie etwa drei bis vier tiefe Atemzüge, wobei das Ausatmen immer doppelt so lange sein sollte wie das Einatmen. Diese Haltung der Selbstfürsorge hilft Ihnen und zugleich auch Ihren Patient*innen und Klient*innen. Denn je ruhiger und geerdeter Sie innerlich sind, desto eher überträgt sich Ihre Ruhe auch auf Ihr Gegenüber. Unsere sozialen Nervensysteme regulieren sich nämlich aufgrund unserer Spiegelneuronen und unserer Empathie wechselseitig. Ist ein Mensch aufgrund eines Schocks völlig dysreguliert, so kann er sich gar nicht mehr selbst regulieren und benötigt eine Person, die besser reguliert ist als er.
  • Beantworten Sie alle Fragen und Anliegen Ihrer Klient*innen bzw. Patient*innen. Auch wenn diese die kognitiven Inhalte nicht aufnehmen können, mach dies dennoch Sinn. Denn wenn Sie Fragen ruhig, langsam, sachlich, entspannt, empathisch und mit angenehmer Sitzhaltung und Prosodie beantworten, so regulieren Sie die Übererregung Ihres Gegenübers durch nonverbale Signale. Das kognitive Gespräch ist dann einfach nur Mittel zum Zweck, sofern Sie selbst entspannt, ruhig und zugewandt sind.
  • Achten Sie generell in Ihrem Privatleben und in Ihrem beruflichen Alltag auf eine gute Selbstfürsorge. Sollte Ihnen das schwer fallen, so empfiehlt sich (etwas augenzwinkernd) ein altruistischer Egoismus, d.h. Selbstliebe im Dienste Ihrer Klient*innen und Patient*innen. Der bekannte Arzt und Psychotherapeut Gunther Schmidt, Begründer der hypnosystemischen Therapie, empfiehlt hierzu für helfende Berufe eine solide Helfer*innen-Trance, d.h. einen ausgeglichenen psychophysiologischen Zustand, in dem wir optimal auf unsere beruflichen Erfahrungen und auf alle unsere Skills, Ressourcen und Kompetenzen zurückgreifen können. Dies erfordert ein Erleben von Flow und Kreativität, was nur möglich ist, wenn es uns selbst gut geht. Schmidt empfiehlt dafür den Aufbau einer optimalen Steuerposition, d.h. eine achtsame Meta- und Beobachter-Ebene, einen gut geschützten Freiraum mit guter Tiefenatmung, optimaler Körperkoordination und Grounding.
  • Des Weiteren gibt Schmidt folgende Empfehlung ab: Im Dienste meiner Klient*innen bzw. Patient*innen habe ich die berufliche und ethische Verpflichtungen, es mir den ganzen Tag "saugut" gehen zu lassen, weil ich nur dann professionell gut arbeiten kann und im optimalen Kontakt mit meinen eigenen Kompetenzen bin. Sollte es mir einmal nicht gut gehen, so darf ich mich gut reorientieren, auch dann, wenn ich es persönlich nicht verdient hätte, denn unsere Klient*innen und Patient*innen haben es immer verdient. Wir sollten uns also immer fragen, ob wir gerade unsere ethische und professionelle Pflicht erfüllen. Ansonsten würden wir uns schuldig gegenüber den Klient*innen / Patient*innen machen, weil wir es uns nicht gut gehen lassen. Schmidt utilisiert auf diese humorvolle Weise das Phänomen vieler Helfer*innen, die sich mitunter für das Wohl andere aufopfern und Schuldgefühle haben, wenn sie das nicht tun, dabei aber zu wenig für sich selbst sorgen. Dies ist ein kleiner Double-Bind, der unterschiedliche Wertsysteme (Egoismus, Nächstenliebe, Caritas und Altruismus) miteinander neu vernetzt. Es handelt sich dabei um eine typische Therapiestrategie der Hypnotherapie von Milton Erickson.


Des Weiteren können Ihnen folgende Fragen aus der Hypnotherapie und dem Embodiment helfen. Diese Fragen können Sie im Konjunktiv formulieren, um perfektionistische Ansprüche und Leistungsdruck hintanzustellen.

  • Fällt mir eine Situation aus meinem Leben ein, in der ich entspannt, zufrieden, gut bei mir und zugewandt war?
  • Welche Körperhaltung, optimale Körperkoordination und Atmung gingen damit einher, damit ich mich so richtig geerdet und gut bei mir fühlen könnte?
  • Welche Bilder und Kognitionen könnten mich dabei unterstützen?
  • Wie viel Erleben von Raum um mich herum hätte ich dann?
  • Gäbe es eine Geste oder Bewegung als Anker, mit denen ich dieses Ressourcenmuster vernetzen könnte.


  • Bemühen Sie sich um eine freundliche Haltung sich selbst gegenüber. Halten Sie sich vor Augen, dass wir in unserem Tun stets begrenzt und endlich sind. Wir sollten uns nicht zu abhängig vom Ergebnis der Beratungsgespräche machen, sondern nach bestem Wissen und Gewissen arbeiten. Sonst geraten wir selbst unter Druck, was sich wiederum auf unsere Patient*innen und Klient*innen überträgt. Es reicht, wenn wir aus der Haltung der inneren Steuerposition empathisch das Leid würdigen. Mir selbst hilft hier die Haltung der Demut und meine Dankbarkeit, dass ich etwas für mich Sinn-stiftendes beitragen darf.

Interview zu Resilienz mit Gunther Schmidt

Welche Probleme können bei Testrückgaben auftreten?

Das Hauptproblem ist, dass viele Ärzt*innen und Berater*innen unter großem Zeitdruck stehen und überfordert sind, negative Nachrichten zu überbringen.

Manche Helfenden übernehmen auch die Gefühle ihrer Patient*innen und Klient*innen und können diese nicht mehr von den eigenen unterscheiden. In diesem Fall ist es beinahe unmöglich, dem Gegenüber in seiner Not Halt, Sicherheit und Containment anzubieten. Wie würde es etwa Ihnen gehen, wenn Sie weinen und Ihr*e Berater*in weint genauso viel wie Sie?

Selbstredend kann es passieren, dass auch Ihnen Tränen kommen, wenn Sie sich empathisch auf Ihr Gegenüber einlassen. Mir selbst passiert das relativ häufig. Ich thematisiere dies, indem ich etwa sagen: "Ihre Situation berührt mich sosehr, dass mir gerade eine Träne gekommen ist. Das zeigt mir, wie schwer Sie es haben."

Manche Helfer*innen reagieren auch mit spezifischen Abwehrmechanismen, wie etwa Beschwichtigen, Verleugnen, Rationalisieren oder die Flucht in intellektuelle Sachlichkeit, das Vermeiden eines längeren Gesprächs u.v.m.

Zudem ist sich nicht jede*r professionelle*r Helfer*in seiner/ihrer eigenen Grenzen bewusst und überschätzt dann ihre/seine Belastbarkeit.


Was kann mir noch helfen, um mit schwierigen Situationen wie Testrückgaben besser umzugehen?

  • Supervision, Intervision und Teambesprechungen
  • Selbsterfahrung
  • Spaziergänge, Entspannungsverfahren, Meditationen, der Genuss oder das aktive Praktizieren von Kunst und Kultur
  • Weiterbildungen und Fortbildungen
  • Ein guter Umgang mit dem eigenen Körper, etwa mittels SPA, Training, Sport, Wellness, Erotik, Sexualität und Massagen
  • Ein solides soziales Netzwerk, welches Sie aktiv pflegen, wie eine Gärtnerin, die ihre Blumen regelmäßig versorgt und gießt
  • Interesse an neuen Erfahrungen. Denn gerade in schwierigen Beratungssituationen lernen wir am Meisten für unseren Beruf und unser Leben.
  • Nehmen Sie sich zudem ausreichend Zeit, um ein positives Testergebnis zurückzugeben, um den/die Patient*in oder Klient*in medizinisch gut aufzuklären und ihm / ihr die nächsten Schritte der Behandlung plausibel darzulegen. Hierbei sollten Sie eine einfache Sprache verwenden und Fachtermini vermeiden.
  • Beantworten Sie alle Fragen Ihrer Klient*innen / Patient*innen.
  • Wenn es für Sie stimmig ist, können Sie auch Halt gebende Berührungen (etwa der Hand oder am Schultergelenk) anbieten.


Fazit: Das Mitteilen von HIV-positiven-Testergebnissen ist manchmal recht aktiv und intensiv und geht weit über ein kognitives Gespräch und hohe fachliche Kompetenzen hinaus: Unsere Klient*innen / Patient*innen übertragen uns ihre Angst, ihre Unsicherheit, ihre Ohnmacht, ihren inneren Druck und ihren Stress. Wir fühlen diese in unserer Gegenübertragung bzw. Resonanz, erden uns, stellen innere Sicherheit und tiefe Entspannung in uns her und übertragen diese wiederum zurück auf das Gegenüber. Dies kann durch Worte, mittels Mimik, Körperhaltung, Prosodie oder durch eine Halt gebende Berührung geschehen.

Dazu ist es wichtig, dass wir als Helfer*innen für uns selbst Methoden, Techniken und Skills anwenden können, um uns zu erden, und dass wir liebevolle Selbstfürsorge praktizieren.

Denn nur dann sind wir unseren Klient*innen / Patient*innen eine optimale Unterstützung.

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