Ist Sexualität ein Trieb?

Florian Friedrich • 15. September 2025

Sexualität ist kein Trieb

Denn bei Trieben handelt es sich um biologische Mechanismen. Ein Trieb hat die Funktion, in einem Organismus einen gesunden Zustand zu bewahren (die Homöostase). Wir sollten z.B. nicht zu hungrig, aber auch nicht ganz vollgegessen sein, damit unser Körper seine Funktionen gut erfüllen kann.

Ein gutes Beispiel für Triebe sind Hunger und Appetit, aber auch der Durst. Wenn wir wirklich durstig sind, dann setzen wir alles daran, um Flüssigkeit zu uns zu nehmen, damit wir nicht dehydrieren.


Lesen Sie in diesem Beitrag, warum Sexualität in der Sexualpsychologie schon lange nicht mehr als Trieb, sondern als ein Bedürfnis gilt. 

Ist Sexualität ein Trieb?

Film: "Sigmund Freud - Aufbruch in die Seele"

Der Irrtum, dass Sexualität ein Trieb sei geht auf Sigmund Freud, dem Begründer der modernen Psychotherapie, zurück.

Triebe sichern unser Überleben

Hunger, Durst, Schlafdruck und Wärmeregulierung sind überlebensnotwendig, d.h. diese Triebe stellen unser individuelles Überleben sicher. Sie drängen und motivieren uns, etwas zu tun, damit wir nicht sterben. Diese Motivationssysteme erleben wir meist als drängend, als aversiv. Wir MÜSSEN unsere Bedürfnisse befriedigen, damit der körperlich-biologische Ausgangszustand wiederhergestellt wird.


Sexualität galt lange irrtümlicherweise als biologischer Trieb

Sexualität wurde lange Zeit irrtümlicherweise als Trieb aufgefasst. Diese Theorie müssen wir heute fallenlassen, sie ist veraltet und überholt. Zwar ist es richtig, dass unsere und viele andere Spezies nur durch Sexualität, also durch Geschlechtsverkehr und Besamung kollektiv überleben können, es geht dabei aber nicht um Homöostase und um das individuelle Überleben.

Zudem ist noch kein Mensch an Sexmangel gestorben, auch unser biologisches Gewebe nimmt keinerlei Schaden, wenn wir völlig auf Sex verzichteten. Hingegen würden wir innerhalb weniger Tage verdursten, nach wenigen Wochen ohne Nahrungszufuhr verhungern und nach einigen Tagen Schlafentzug sterben.


Sex ist ein Potenzial und ein Anreiz

Im Gegensatz zu einem Trieb handelt es sich bei der Sexualität um ein ganz anderes Prinzip. Wir fühlen uns zur Sexualität hingezogen und von ihr angezogen. Sie reizt uns, bereitet uns Lust, Freude, Geilheit, Erotik, Nähe und vieles mehr. Gesunde Selbstbefriedigung und Sexualität, die nicht durch toxische Normen vorbelastet sind, erleben wir als Belohnung. Im Gegensatz zu Trieben, wie etwa dem Hunger, werden wir nicht durch unangenehme innere Zustände angetrieben und gedrängt, sondern hingezogen. Sexualität ist somit vielmehr ein Potenzial wie Singen, Tanzen, Sprechen, Schauspielen, kreativer Ausdruck, Schreiben, Malen und Basteln.

Menschen sind somit in der Sexualität nicht triebgesteuert. Das führen uns die vielen Menschen vor Augen, die trotz aller sexuellen Freiheiten wenig oder gar keine Lust auf Sex haben (etwa asexuelle Menschen) oder die nur mit Menschen Sex haben, für die sie Liebe und ganz starke Gefühle empfinden (demisexuelle Personen).


Übrigens: Wir trinken und essen auch ohne Trieb, etwa dann, wenn wir nicht zu viel Hunger haben. Wir genießen dann so richtig, bereiten uns das Essen köstlich zu (das Auge isst dann mit), oder wir trinken Alkohol des Genusses oder des Rausches wegen und nicht, weil wir durstig sind.

Insofern ist auch beim Essen und Trinken beides im Spiel: ein Trieb, aber auch ein Anreiz. Wir fühlen uns dann nicht getrieben zu essen und die Nahrung herunterzuschlingen, sondern von den Speisen und Getränken angezogen.

Wenn wir allerdings kurz vor dem Verhungern sind, dann legen wir auf Ästhetik keinen Wert. Wir schlingen verzweifelt, gierig und schmatzend große Mengen an Nahrungsmitteln in uns hinein, vergessen die Nahrung ausreichend zu kauen, der Trieb übermannt uns, der Anreiz fehlt dann völlig.


Freuds Triebtheorie ist schon lange überholt und ein Mythos

Dass die Sexualität ein Trieb sei, ist ein Mythos, den auch noch viele Sexualforscher*innen, Sexualtherapeut*innen und Sexualwissenschaftler*innen verbreiten. Dieser Irrtum geht u.A. auf die Trieblehre von Sigmund Freud zurück, der Menschen und deren Handeln oft sehr reduktionistisch auf bestimmte Triebe festlegte.


Vor allem in der Sexualität, so Freud, seien wir sehr triebgesteuert. Freud war hier ganz Kind seiner Zeit und betrachtete die Sexualität als etwas Mechanistisches und Hydraulisches: Der Trieb erzeuge einen Druck, dieser müsse abgeführt werden, dann sei die Homöostase wieder hergestellt. Das ganze Konstrukt lässt an einen Dampfkessel denken. Würden wir laut Freud die Sexualität nicht ausleben, so bahne sie sich impulshaft ihren Weg und breche aus wie ein wildes, unkontrollierbares und unbeherrschtes Tier.

Filmtipp: "Liebe und Sex: Das gibt's Neues aus der Wissenschaft"

Drang und Druck zum Sex

Wenn Sexualität kein Trieb ist, warum fühlen dann viele Menschen einen so starken, überwältigenden Drang und Druck, Sex haben zu MÜSSEN?

Sexualität braucht weder ein Ventil, noch führt ein Mangel an Sex zu einem sexuellen Stau, der sich irgendwann brutal und gewaltvoll entlädt. Hierbei handelt es sich um einen Mythos aus dem 19. Jahrhundert. Sexuelle Frustrationen müssen auch nicht abgelassen werden. Sexueller Kontrollverlust und eine übermäßige impulsive sexuelle Begierde beruhen eher auf Unwissen.


Sexualstraftäter*innen und gestörte Sexualität

Sexualstraftäter*innen begehen ihre Verbrechen nicht, weil ihre Motive sexuell sind, sondern weil sie mit ihren aggressiven Gefühlen nicht konstruktiv umgehen können. Auch der gesunden Sexualität haftet übrigens immer etwas lustvoll-aggressives an. Gesunde Personen können mit diesem Aggressiven aber gut umgehen und es in ihre erwachsene Sexualität einbauen.

Gestörte Persönlichkeiten hingegen missbrauchen die Sexualität zur Machtdemonstration und unterwerfen dann bei der Vergewaltigung (von Menschen, Kindern und Tieren) ihre Opfer.


Sexsucht und der Verlust der sexuellen Impulskontrolle

Auch Menschen, die ihre Sexualität (ohne innere Zustimmung) sehr ausschweifend leben und zur Sexsucht neigen, erleben einen Verlust ihrer Selbstkontrolle. Sie können sich selbst schlechter steuern als andere und haben auch ein schlechteres Selbstwertgefühl. Oft sind zudem Drogen, Sexdrogen (Chemsex), Alkohol usw. im Spiel, was wiederum die sexuelle Impulskontrolle hemmt.

Selbstverständlich gibt es auch Menschen, die mit innerer Zustimmung promiskuitiv leben. Dies ist dann aber ein Ausdruck der gesunden und reifen Sexualität und authentischer Lebensfreude.


Fragen zur sexuellen Reife und Selbstkontrolle

Folgende Fragen können hier zur Selbsterfahrung dienen:

  • Erlebe ich mich eher von der Sexualität angezogen und hingezogen?
  • Oder erlebe ich mich eher getrieben, Sex haben zu MÜSSEN? Erlebe ich eher einen Druck?
  • Erlebe ich mich der Sexualität hilflos ausgeliefert wie bei einem Zwang?
  • Erlebe ich es immer wieder, dass ich beim Sex im negativen Sinne total die Kontrolle verliere und dass ich es danach bereue, Sex gehabt zu haben?
  • Erlebe ich Wut auf mich selbst, Selbstekel oder Selbsthass nach dem Sex? Oder auch Ekel vor dem/der Sexualpartner*in?
  • Gehe ich beim Sex schlecht mit mir selbst um? D.h. missbrauche ich Sex zur Selbstbestrafung oder als selbstverletzende Verhaltensweise?
  • Missbrauche ich Sexualität, um mich narzisstisch aufzuwerten, um Aufmerksamkeit und Bestätigung zu erhalten oder um meine innere Leere zu füllen?
  • Nehme ich oft Alkohol und Drogen vor oder während des Sex zu mir?
  • Wie steht es generell mit meiner Impulskontrolle?



Sexualität wird gelernt und kulturell überformt

Je unwissender und je schlechter Menschen sexuell aufgeklärt sind, desto unreifer und weniger selbstbestimmt ist auch ihre Sexualität.

Dabei sind die biologische Disposition und die physische Fähigkeit der Menschen zum Sex lediglich eine von vielen Komponenten der Sexualität. Sexualität wird nämlich auch gelernt und unterliegt Prozessen der Sozialisation und der Erziehung. Die biologische Sexualität wird damit durch Lernen überformt, und viele sexuelle Bedürfnisse werden erst im Laufe des Lebens erworben. Daher können sich sexuelle Bedürfnisse auch verändern.

Sexualität ist ein Bedürfnis und eine Motivation, also ein responsives Verlangen. Es gibt Menschen, die selten oder nie spontanes Verlangen nach Sexualität fühlen, was wiederum bestätigt, dass Sexualität kein Trieb sein kann – siehe etwa asexuelle und demisexuelle Menschen.

Reichtum und psychische Probleme
von Florian Friedrich 10. November 2025
Psychologische Hilfe, Psychotherapie und Coaching für materiell reiche Menschen Psychische Probleme können auch bei materiellem Reichtum oder gerade deswegen auftreten. Dabei bietet Reichtu m viele vermeintliche Vorteile im Leben, und Superreiche werden von vielen ihrer Mitmenschen dafür beneidet. Geld, Reichtum und Wohlstand garantieren einerseits den Zugang zum Gesundheitssystem und zur besten Gesundheitsversorgung. Allerdings gefährden Reichtum, Verwöhnung und Luxus unsere Psyche und Soma sehr stark. Glück, Zufriedenheit und Sinn lassen sich mit Geld, Wohlstand und Besitz nämlich nicht erkaufen, das lehrt bereits das Märchen der Brüder Grimm " Der Arme und der Reiche ". Vermögen, Luxus, Besitz und Reichtum können den Bezug zur Realität erschweren, narzisstische und manische Persönlichkeitszüge fördern und verstärken und vermindern mitunter Mitgefühl und Empathie. Darüber hinaus sind wohlhabende und reiche Personen überdurchschnittlich häufig von Substanzmissbrauch betroffen. Auch kann Superreichtum Werte, Erziehungspraktiken und zwischenmenschliche Beziehungen negativ beeinflussen. Ich biete Hilfe an, wenn Sie superreich und trotzdem unglücklich oder erschöpft sind.
Terroranschläge und Unfälle - Traumatherapie
von Florian Friedrich 10. November 2025
Film: "TRAUMA nach ZUGUNFALL in Bad Aibling"
Täterintrojekte - was ist das?
von Florian Friedrich 10. November 2025
Wenn der/die Täter*in innerlich immer da ist Die Bezeichnung "Täterintrojekt" ist völlig veraltet, pathologisierend, unglücklich, irreführend und aus meiner hypnosystemischen Sicht wenig ziel-dienlich. Dennoch möchte ich in diesem Artikel erläutern, was damit gemeint ist. Das Wort " Introjekt " leitet sich vom Lateinischen " intro " (zu Deutsch: hinein, herein) und " iacere " (zu Deutsch: werfen) ab. Ganz typisch nach schweren Traumatisierungen in der präverbalen Lebensphase, also in der frühesten Kindheit, ist es, dass sich täterloyale Muster ausbilden. Die Opfer verhalten sich in Abwesenheit der Täter*innen so, als ob diese anwesend wären. Es entwickelt sich die verkörperte Wahrnehmung, dass die Täter*innen richtig seien und ich selbst falsch. Dies führt zu einem tiefen Selbsthass. Die Opfer introjizieren zudem das Bild des schlechten, bösen und ungeliebten "Kindes", welches ihnen von den Täter*innen (meist von den Eltern oder anderen nahen primären Bezugspersonen) vermittelt wird. Die Täter*innen pflanzen also dem Kind ein Feindbild seiner selbst ein. Typisch für "Täterintrojekte" ist die toxische Scham, die zur Schamrage und zum Hass führen kann. Darum sind Pflegekinder, die im ersten Lebensjahr bei schwer psychisch kranken Eltern, drogensüchtigen Müttern oder schlagenden Vätern leben mussten, oft schwer gestört. Aufgrund ihrer Täterintrojekte entwickeln sie später auch dann eine Persönlichkeitsstörung, wenn sie in liebevollen Pflegefamilien aufwachsen.
HIV und Schuldgefühle
von Florian Friedrich 10. November 2025
Starke, irrationale Schuldgefühle wegen der HIV-Infektion Me nschen, die HIV-positiv sind, schämen sich oft nicht nur für ihre HIV-Infektion, sondern haben mitunter starke Schuldgefühle, die ihnen von der Gesellschaft, von Ämtern, Institutionen, Behörden, Systemen oder psychisch übergriffigen Menschen manipuliert werden. Lesen Sie in diesem Beitrag, warum viele HIV-positive Personen irrationale Schuldgefühle wegen ihrer HIV-Infektion haben und was Sie als Betroffene*r tun können, um Ihre Schuldgefühle zu mildern und freundlicher mit sich selbst umzugehen. Ich biete in Zusammenarbeit mit der Aidshilfe Salzburg kostenlose Psychotherapie und psychologische Beratung an, wenn Sie HIV-positiv sind, im Bundesland Salzburg leben und ein geringes Einkommen haben (Regelung für wirtschaftlich Schwache).