Mag. Florian Friedrich, BA

Psychotherapeut (Existenzanalyse)

in Salzburg / Hamburg


Wichtig: Ich kann erst ab Anfang Februar 2025 wieder freie Plätze und Erstgespräche anbieten.

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Politische Korrektheit - wenn sie narzisstisch wird

Florian Friedrich • 31. März 2024

Beispiele für Hysterie in der Politischen Korrektheit: Kulturelle Aneignung & Co

Seit einigen Jahren geistert das Modewort "Kulturelle Aneignung" durch unsere Gesellschaft. Das Konstrukt der kulturellen Aneignung ist en vogue und mischt vor allem die Kunst- und Kulturszene auf. Es sorgt in gerade jenem Bereich für Spaltung und Verunsicherung, der für Offenheit steht und vom notwendigen kulturellen Austausch lebt.


Die Bedeutung von Begriffen und Sprache, von Kostümen, Modetrends und Frisuren entscheidet auch der/die Empfänger*in und nicht nur der/die Sender*in.

Bei dem Konstrukt "Kulturelle Aneignung" oder "Rassistische Produktnamen" handelt es sich im Sinne der Systemtheorien um Problemkonstrukte, in denen wichtige Anliegen derjenigen verborgen sind, die sich über kulturelle Aneignung oder Produktnamen beschweren und empören. Ich selbst bin ja immer an der Konstruktion eines Problems auf psychodynamischer Ebene mitbeteiligt.

Auf diese Weise wird auch verständlich, warum sich innerhalb kurzer Zeit eine Frisur wie Dreadlocks von einem Symbol für Freiheit, interkulturelle Freundlichkeit und links-alternative Lebensweisen zu etwas negativ Konnotiertem wandelt, oder warum sich Menschen, die auf kulturelle Aneignung sensibilisieren, sich an einem Shitstorm gegen den Dalai Lama beteiligen.

Erkenntnis ist immer konstruiert, d.h. es gibt in der gesamten Debatte keine objektive Realität und auch keine objektiven Beobachter*innen, weswegen das Konstrukt der Kulturellen Aneignung immer auf unbewusste eigene Anteile zu hinterfragen ist. Wir können und sollten unsere Beobachtungen immer beobachten und reflektieren.


Für den vorliegenden Essay habe ich mich von folgenden Disziplinen inspirieren lassen, deren Lektüre ich zur Vertiefung empfehlen kann:

  • von der Erkenntnistheorie und dem Konstruktivismus
  • von den Systemtheorien
  • von der Psychoanalyse mit ihren Konzepten der Abwehrmechanismen, Übertragung und Gegenübertragung
  • von der Existenzanalyse, ihrem Verständnis der Hysterie und ihrer Haltung der Phänomenologie (die m.E. der Haltung der Demut im Buddhismus sehr ähnlich ist)
  • von der psychodynamischen Forschung zum Narzissmus
  • von der integrativen Traumatherapie und ihren Erfahrungen zur Reinszenierung von Gewalt durch diskriminierte und verfolgte Minderheiten


Selbstredend sollte schon mit Bedacht, Ruhe und Phänomenologie erforscht und diskutiert werden, was Kulturelle Aneignung ist und wann sie problematisch wird.

In diesem Artikel bringe ich Beispiele für eine Politische Korrektheit, die nervt, dramatisiert und hysterisch oder übergriffig wird.

Denn genauso, wie es eine falsche und narzisstische Hilfe gibt, gibt es auch eine falsche, vereinnahmende und narzisstische Politische Korrektheit. Besonders am Beispiel der "Kulturellen Aneignung" und an der Umbenennung von Lebensmitteln wird die Hysterie besonders deutlich.

Das Thema ist freilich komplex und vielschichtig. In diesem Beitrag sollen eher die psychodynamischen und tiefenpsychologischen Aspekte beleuchtet werden.

Kulturelle Aneignung - wenn Politische Korrektheit nervt

Film: "Wegen Dreadlocks: „Fridays for Future“ lädt Musikerin Ronja Maltzahn aus"

Die Sängerin Maltzahn wurde zum Opfer von Diskriminierung und reinszenierter Gewalt durch eine Bewegung, die sich gegen Diskriminierung und für eine menschenwürdige Zukunft einsetzt. Sie wurde wegen äußerlicher Merkmale, nämlich der Kombination von weißer Hautfarbe und Dreadlocks von "Fridays for Future" ausgeladen. Hier wurde die weiße Hautfarbe (!!) zum Kriterium der Diskriminierung.
Maltzahn reagierte übrigens besonnen und Dialog-bereit, sodass es nicht zu einer Spaltung kam.

Exkurs:

Was meint Hysterie?

"Hysterie" wird heute als Diagnose in der ICD-10 nicht mehr verwendet. Sie ist aber ein Teil der existenzanalytischen Diagnostik. Auch in der Psychoanalyse und in den Sozialwissenschaften wird der Begriff der Hysterie gerne verwendet.

Hysterie bezeichnet die Störung des personales Umgangs mit sich selbst und der Welt. Sie kann bei leichterer Ausprägung eine Neurose sein, bei schwerer eine Persönlichkeitsstörung.

Typisch für die Hysterie sind der Drang nach Freiheit mit keinem Gefühl und Gespür für die eigenen Grenzen und diejenigen der Mitmenschen. Menschen mit Hysterie sind eher labil, ihre Affekte wechseln sehr rasch. Sie neigen zur Selbstinszenierung und Theatralik und möchten immer im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Sie brauchen ihre Bühne.

Bezogen auf die falsche Politische Korrektheit wird die Hysterie in der dramatischen und oft dargestellten Empörung sichtbar. Was heute noch EXTREM wichtig ist und worüber sich Mitläufer*innen EXTREM empören, ist eine Woche später schon wieder vergessen. Die Hysterie flattert von einem Thema zum nächsten, empört sich dort lautstark, selbstinszenierend, dramatisch und theatralisch-oberflächlich, ruft dann schnell mal nebenbei zu einem Shitstorm auf und flattert dann weiter. Es mangelt ihr an Abwägen und langsamer, nachdenklicher Tiefgründigkeit. Daher nervt die Hysterie rasch oder ruft sogar Ekel hervor.

Medien und Social Media fördern die Hysterie.


Als Existenzanalytiker bevorzuge ich den Begriff "Hysterie", da mir "histrionisch" zu verniedlichend erscheint und das Leid und die Not der Hysterie verschleiert. Hysterie ist im Laufe des 20. Jahrhundert zu einem Schimpfwort für Frauen geworden und wird gerne von gewaltvollen Männern gegenüber ihren Partnerinnen missbraucht. In meinem existenzanalytischen Verständnis von Hysterie verwende ich "Hysterie" auch für Männer.

In der Alltagssprache ist Hysterie sehr negativ konnotiert, allerdings ist sie ja auch etwas Negatives sowie Unangenehmes für die Betroffenen und deren soziales Umfeld. In einer Gesellschaft richtet die Hysterie immensen Schaden an.

Die Hysterie ist aufdringlich, missbräuchlich, grenzüberschreitend, instabil, nervend und gibt sich der Lächerlichkeit preis. Eine Änderung des Begriffes würde das Unangenehme der Hysterie verdrängen und verleugnen. Vielmehr ist es der Existenzanalyse wichtig, dem Phänomen möglichst offen, phänomenologisch und unvoreingenommen zu begegnen. Eine Begriffsänderung würde das Bezeichnete entwerten.

Die Stigmatisierung der Hysterie kann übrigens nicht durch einen anderen Begriff zum Verschwinden gebracht werden, sondern nur durch ein tiefgehendes Verständnis der tieferen Ursachen der individuellen und kollektiven Hysterie.


Übrigens: Jeder Mensch hat hysterische Anteile. Bis zu einem gewissen Grad ist das sogar gut und gesund. Denn erst die Dosis macht das Gift. Eine Welt ganz ohne Hysterie wäre auch langweilig, blass und leblos. In diesem Artikel betone ich die ungesunden, pathologischen und gefährlichen Tendenzen.


Können Produktnamen rassistisch sein?

In diesem Artikel "Rassistische Produktnamen: N-Wort-Kuss & Wikinger-Kekse" hinterfragt die Autorin nicht ihre eigenen Assoziationen und das Konzept von Konnotation und Denotation scheint ihr fremd zu sein. Zudem vereinnahmt sie Menschen, wenn sie schreibt, dass Personen älterer Generationen einem Rassismus aufgesessen seien, den sie "selbst oft nicht immer benennen oder verstehen" (ein Beispiel für Vereinnahmung der Gefühle und des Empfindens anderer Menschen: Denn wenn ich im tiefsten Innersten das Wort "Neger" nicht als rassistisch bzw. pejorativ erlebe, sondern als neutral, dann darf mir kein Mensch mein personales authentisches Spüren ausreden) - Musterbeispiel für eine hysterische Pseudo-Politische-Korrektheit, welche ihrerseits stigmatisierend wird.

Albern wird es zudem dann, wenn die Autorin "Uncle Ben's" als "eine ganze Mahlzeit für Faule" bezeichnet. Diese Interpretation sagt mehr über die negativen Assoziationen, Projektionen und Denotationen der Autorin aus als über den Namen des Produktes. Durch ihre rassistischen Projektionen ist es die Autorin selbst, welche den ursprünglich unbefangenen Produktnamen ihre Unschuld nimmt. Die Vermutung, dass hier eigene rassistische Tendenzen (die jeder Mensch hat, weil eben unsere Psyche nie politisch korrekt ist) im Außen bekämpft werden liegt nahe.


Mit der Alltagsrealität, der Not, den Kränkungen und dem oft unermesslichen Leid meiner Klient*innen dunkler Hautfarbe, die tagtäglich Rassismus ausgesetzt sind, hat dieser Artikel nichts zu tun.

Ich selbst nehme mit dramatisch moralischer Entrüstung Produktnamen ihre Unschuld. Es handelt sich dabei um den  gleichen Abwehrmechanismus, wie wenn lebensfrohe Kostümierungen im Fasching, wie etwa Indianer, Zigeuner, Türke, Araber, Chinese etc. verteufelt werden. Durch meinen eigenen uneingestandenen Rassismus und meine verdrängten Vorurteile sehe ich dann in allem nur noch das Rassistische und Fremdenfeindliche und werde dadurch selbst zum/zur Täter*in, weil ich der Unbefangenheit ihre Unschuld raube.

Die meisten Menschen fühlen sich völlig unbefangen, wenn sie sich als Indianer verkleiden oder "Winnetou" ansehen. Ihre Gefühle werden durch derartige Unterstellungen und Projektionen vereinnahmt und nicht validiert. Dies stellt per se schon einen psychischen Übergriff und Missbrauch dar, der nicht politisch korrekt oder humanistisch ist. Das Verdrängte kehrt auch hier unbewusst und ungewollt wieder und resinszeniert sich.


Zudem wirkt die Entrüstung und Empörung hysterisch und nicht authentisch und ruft bei vielen Menschen als Resonanz bzw. Gegenübertragung Genervtheit, Verärgerung, Trotz oder Belustigung hervor, z.B. dann, wenn sich eine Frau furchtbar über eine Bäckerei echauffiert, welche einen Nigeria Kuchen anbietet und im Kakao ein Symbol für schwarze Hautfarbe und Unterdrückung zu erkennen meint (wiederum eine Projektion der eigenen innerseelischen Defizite und xenophoben Tendenzen, sonst käme sie gar nicht auf diese konstruierte Theorie).

Den Schokoladenüberzug mit dunkler Hautfarbe gleichzusetzen ist die eigene rassistische Denotation der aufgesetzt-empörten Kundin, die sich dramatisch und moralinschwanger in Szene setzt, viel Aufmerksamkeit einfordert und einen großen Auftritt macht, wobei die Medien coabhänig mitagieren. Auffallend ist hier wieder die mangelnde Sachlichkeit, das fehlende Abwägen, das laute Poltern, das Einfordern einer Bühne und gesehen-werden-Wollen (Hysterie) und jede Bereitschaft zum konstruktiven Dialog: "Es ist rassistisch, weil ICH es sage (und damit ich mich nicht mit meinen eigenen innerseelischen Defiziten auseinandersetzen muss)".


Echte und falsche Hilfe

Der unechte, narzisstische "Altruismus" missbraucht hilfsbedürftige Personen und Minderheiten und vereinnahmt sie, etwa indem ich mich zum/zur selbsternannten Fürsprecher*in für LGBTIQA* oder Menschen dunkler Hautfarbe mache. Der/die narzisstische Helfer*in tut dies, damit der eigene Kummer und Schmerz nicht gespürt werden müssen. Deshalb tritt der/die falsche Helfer*in auch so dramatisch, laut polternd, mit moralisch erhobenem Zeigefinger, mit hysterischer Empörung, oft auch hasserfüllt auf. Das Helfen ist dann bloß eine Ablenkung vom eigenen Ego und inneren Schmerz. Es soll die eigenen Anspannungen und Kränkungen lösen oder zumindest verbergen.

Manche Menschen helfen auch bloß aus der Motivation der Angst heraus, um vor anderen nicht schlecht dazustehen. Dies ist oft zu beobachten, wenn Menschen oberflächlich ein sozial erwünschtes und politisch korrektes Verhalten an den Tag legen und vorspielen, weil sie eine gute Außenwirkung hinterlassen wollen. Sie befriedigen dabei ihre egozentrischen Wünsche nach Anerkennung und vermeiden Scham- oder Schuldgefühle.


Menschen, die echte, gesunde und altruistische Hilfe anbieten, kreisen weniger um ihr Ego, ihren Narzissmus und ihre Hysterie. Sie helfen auch dann, wenn es nicht sichtbar oder offensichtlich ist, d.h. sie brauchen kein Dramen und keine Bühne. Das Verweigern der Hilfe würde niemandem unangenehm auffallen, dennoch helfen sie. Sie tun dies auch nicht aus Scham- oder Schuldgefühlen heraus. Für sie zählt nur das Resultat. Sie ärgern sich auch nicht oder sind gekränkt, wenn ihnen ein anderer Mensch bei der Hilfe zuvorkommt.


Personen, die ihre Emotionen gut regulieren können und nicht blind ausagieren, handeln selbstloser als impulsive Menschen, die sich von ihrer Psychodynamik nicht zu distanzieren vermögen. Siehe hier als Beispiel für eine problematische Psychodynamik die oben erwähnte Frau, welche sich, in ihrer eigenen Psychodynamik gefangen, über das Wort "Nigeriakuchen" empört und noch dazu Nigerianer*innen mit ihrer falschen, übergriffigen Hilfe vereinnahmt. Immerhin weiß sie ja nicht, ob diese überhaupt ihre Hilfe möchten oder brauchen.

 

Wir müssen also zuerst lernen, gut mit unserem Hass, unseren Ängsten, Kränkungen, unserer Wut und unseren destruktiven Impulsen umzugehen, bevor wir gut helfen und uns für Minderheiten einsetzen können. Wir sollten den Raum der inneren Freiheit zwischen Reiz, Impuls und Reaktion immer weiter aufspannen, um unsere Selbstbezogenheit zu verringern.

Wenn wir innerlich frei, weit und ruhiger werden, dann gelingt es uns immer öfter, unsere Psychodynamik in Zaum zu halten, hinten anzustellen und wahrhaft altruistisch zu handeln.

Wenn ich aber selbst gegen meine Dämonen kämpfe, dann werde ich rasch gewaltvoll und meinerseits hasserfüllt.


Die vier Botschaften der Kommunikation

Nach dem Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun werden in der Sprache und Kommunikation stets vier Botschaften übermittelt:

  1. Eine Botschaft auf der Sachebene,
  2. eine Selbstkundgabe,
  3. eine Botschaft auf der Beziehungsebene und
  4. ein Appell.


Der/die Sender*in kommuniziert auf diesen vier Ebenen, während der/die Empfänger*in auf den vier Ebenen dechiffriert.

Bei der Diskussion um Kulturelle Aneignung und rassistische Bezeichnungen von Lebensmitteln wird dieses Modell völlig ignoriert, als ob es Jahrzehnte an Psychologie, Wissen um Psychodynamiken und Kommunikationswissenschaften nicht gäbe. Erst wenn eine Botschaft mit Subtext, Appell, Selbstkundgabe oder der Beziehung rassistisch ausgesendet wird, ist sie problematisch.


Ein Beispiel:

Wenn ich einem Menschen dunkler Hautfarbe oder mit nigerianischer Abstammung bewusst weh tun möchte (Beziehungsebene) und ihm gegenüber absichtlich aus Hass das Wort "Nigeriakuchen" verwende, dann ist psychische Gewalt bzw. Rassismus gegeben.

Der Appell ist hier: "Geht zurück nach Nigeria!"

Die Selbstkundgabe lautet: "Ich kann Euch nicht ausstehen. Ich habe Angst vor euch, fühle mich bedroht. Daher hasse ich euch."

Appell und Selbstkundgabe werden meist auf nonverbaler Ebene ausgesendet: dem Subtext.

Eine Bäckerei hingegen, die einfach nur eine Süßspeise unbefangen als "Nigeriakuchen" anpreist, handelt nicht rassistisch, solange keine psychodynamischen Beweggründe im Spiel sind (etwa Trotz oder Rebellion gegen Politische Korrektheit). Wenn ich als Kundin dann diese Bezeichnung als rassistisch erlebe, ist meine Dechiffrierung problematisch bzw. gestört. Ich sollte dann über meinen Anteil reflektieren und dafür Verantwortung übernehmen. Wenn ich dies nicht tue, trage ich meine Störung nach außen, bekämpfe sie dort und werde gegenüber meinen Mitmenschen gewaltvoll. Ich missbrauche sie dann, um meine eigenen Projektionen an ihnen zu bekämpfen.

Ein Lehrbuchbeispiel für "politisch korrekte" Hysterie:

Film: "Kulturelle Aneignung - Wo fängt Diskriminierung an?"

Das Schlagwort "Kulturelle Aneignung" wird zur neuen Hysterie, die ihrerseits übergriffig und stigmatisierend wird.


"Aber ist halt die Frage, ob Du in Kauf nehmen möchtest, dass sich vielleicht [sic!] Leute beleidigt fühlen?"

Allein schon diese Frage der Reporterin vereinnahmt Menschen dunkler Hautfarbe, die ja für sich selbst sprechen können. Insofern handelt es sich hier um falsche und übergriffige Hilfe bzw. um dargestellte Politische Korrektheit.


"Du meinst es vielleicht nicht als Beleidigung, aber wenn es als solche ankommt, ist es ja trotzdem verletzend."

Diese Aussage stimmt eben nicht und unterscheidet nicht zwischen Konnotation und Denotation. Sie erkennt dabei nicht, dass der/die Empfänger*in immer auch einen Anteil an der Dechiffrierung einer Aussage oder eines Begriffes hat. Zudem verunmöglicht die Aussage der Reporterin einen personalen Dialog.

Es wäre ja gerade interessant, zu ergründen, warum sich eine Person wegen eines Begriffes oder einer Kostümierung beleidigt fühlt oder welche Wunden aus der Biographie dadurch getriggert werden. So können dann zwischenmenschliche Nähe und echtes Verständnis entstehen, welche die Gräben überwinden.

Wenn ich zudem als Indianer-Kostümierte*r nicht die Intention der Beleidigung habe oder gewisse Worte völlig unbefangen verwende, dann darf mir nicht eine Beleidigung unterstellt werden. Auch hier wird die grenzüberschreitende und übergriffige Haltung wieder gut sichtbar, welche die Intentionen und Bedürfnisse anderer nicht nur abwertet, sondern auch vereinnahmt.


Wenn Konzerte wegen Rastalocken abgebrochen werden

Gewaltdynamiken können schnell eskalieren. Etwa wenn ein Veranstalter ein Konzert spontan abbricht, weil die Mitglieder einer Band Rastalocken tragen (ein diskriminierendes Verhalten vonseiten des Veranstalters, aber auch der Menschen, die den Abbruch einfordern) und dann selbst Opfer von Gewalt wird, weil er wegen dieses Abbruchs Drohungen, Beschimpfungen und einen Shitstorm erfährt.

Hier sind dann die Menschen, welche sich nicht in die Überforderung des Veranstalters einfühlen können und sogar drohen und ihn beschimpfen, die Täter*innen. Es fehlt in dieser hysterischen Dynamik von beiden Seiten an Empathie, Raum für eigene Nöte und Überforderungen und das eigene Leid. Rasch bekämpfen wir dann im vermeintlichen Gegner unsere eigene Not.


Ich selbst habe in diesem Fall Mitgefühl mit der Band und den Zuseher*innen, die das Konzert sehen wollten, aber auch mit dem Veranstalter, der selbst zum Opfer von Gewalt wird. Ärger und Genervtheit hingegen löst die Beschwerde mancher Besucher*innen des Konzerts bei mir aus, die sich beim Veranstalter wegen der Rastalocken der weißen Bandmitglieder beschwerten. Hier liegt wieder die Vermutung nahe, dass innerseelische Wunden, Traumen, Defizite und eigener Rassismus vorschnell und unreflektiert im Außen bekämpft wurden, anstatt den demokratischen und offenen Dialog zu suchen.

Die Spaltung, psychische Gewalt und Abwertung von weißen (cis) Männern, die Rastalocken tragen, als einem neuen Feindbild wird auch hier gut sichtbar. Das Kriterium der Diskriminierung wird die weiße Hautfarbe. Das ist Rassismus.

Auf diese Weise kann kein humanistischer Dialog entstehen, wenn jeder zum Opfer und zum Täter wird.

Die Fronten verhärten sich. Die vielen Protestwähler*innen der deutschen AfD sind auch eine rebellische und trotzige Reaktion auf eine gewaltvolle Politische Korrektheit.


Demut vs. Narzissmus und Hysterie

Viele Mitläufer*innen der Pseudo-Politischen-Korrektheit sind davon überzeugt, dass sie selbst über jene Eigenschaften verfügten (etwa Humanismus, Nächstenliebe, Toleranz, Altruismus), an denen es ihnen in Wahrheit mangelt.


Die unechte, dargestellte Politische Korrektheit entspricht hier ganz dem Zeitgeist und unserer narzisstischen und hysterischen Kultur. Es mangelt ihr an Demut und Bescheidenheit, und sie ist immens stark mit Selbstdarstellung und dem Heischen nach Aufmerksamkeit beschäftigt. Anstatt sich selbst zu hinterfragen, suchen zahlreiche ihrer Mitläufer*innen nach immer noch mehr Wegen, sich stets noch besser zu präsentieren. Sie sind davon überzeugt, moralisch besser als ihre Mitmenschen zu sein und neigen dann zu einem aggressiveren Auftreten als der Durchschnitt der Bevölkerung. Fühlen sich Personen ihren Mitmenschen überlegen, so beurteilen sie die Fehler der anderen strenger und unnachgiebiger als demütige Menschen.

Diese Affektiertheit bringt uns als Gesellschaft keinesfalls weiter und ist eine gefährliche Entwicklung.


Narzissmus, Hochmut und Arroganz verhindern den gesellschaftlichen Fortschritt. Es bedarf einer gesunden Demut, des Eingeständnisses: "Ich weiß, dass ich nichts weiß" und einer radikalen Phänomenologie. Demut bedeutet dabei immer Unbefangenheit und Unvoreingenommenheit.

In der Haltung der Demut bin ich offen für den/die andere*n und meine Mitwelt. Ich klammere all mein Vorwissen und meine Theorien ein und interessiere mich dann für meine Mitmenschen, was sie etwa bewegt, im Fasching als Indianer, Zigeuner, Scheich oder Prinzessin zu gehen oder sich das Gesicht dunkel zu färben. Ich bin offen für andere, ohne ihnen mein Eigenes und meine Projektionen wie mit einem Stempel aufzudrücken und fühle mich innerlich verbunden mit ihnen. Echte Hilfe entsteht oft ganz spontan. Wir empfinden dabei Empathie und Mitgefühl und sind bereit, zum Wohl unserer Mitmenschen zu handeln.


Demütige Menschen spüren in ihr tiefstes Innerstes hinein, bevor sie handeln und setzen dann Taten, ohne auf ihr Image zu achten oder sich nach dem Mainstream zu richten. In der Haltung der Demut weiß ich, dass ich selbst noch viel zu lernen habe. Dies darf nicht mit falscher (gespielter oder dargestellter) Bescheidenheit verwechselt werden.

Demut ist eine innerlich freie, forschende, interessierte, personale, offene, kreative und befreiende Haltung. Sie verringert Spaltungsprozesse einer Gesellschaft und wirkt langsam, bedacht und ruhig, so ganz anders als der hysterische und schrille Zeitgeist.


Fazit:

Die narzisstische und hysterische Abart der Politischen Korrektheit stellt Andersdenkende an den Pranger, begeht dabei selbst Gewalt und wird dem immer ähnlicher, was sie zu bekämpfen sucht.

Auf diese Weise werden Aggressions-gehemmte Menschen zu empörten, angriffslustigen Kämpfer*innen im Namen von Ethnien, Völkern und anderen Minderheiten. Sie sprechen dann vereinnahmend im Namen der Opfer und Minderheiten, verfolgen dabei aber eigene, unreflektierte Interessen, Projektionen und Bedürfnisse.


Spaltung ist ein primitiver Abwehrmechanismus, der die Welt in gut und böse, in gefährlich und ungefährlich einteilt. Er differenziert nicht und sieht dort Trennung, wo gar keine ist. Viel gesünder ist das "sowohl als auch".

Vertreter*innen der pervertierten Politischen Korrektheit müssten erkennen, dass sie selbst ein Teil des Problems sind und etwas falsch machen. Spaltung ist nämlich ein billiger und angenehmer psychischer Rettungsversuch, der entlastet: schuld sind die anderen, aber nicht ich. Ich habe recht, die anderen irren.

Gesund wäre es, sich einzugestehen: Ich habe recht und zugleich liege ich falsch. Die anderen haben recht, liegen aber auch falsch.

Diese Grundhaltung bildet die Basis jeder Demokratie, die zunehmend verloren geht.

Wenn ich etwa Menschen nicht einmal mehr fragen darf, woher sie kommen, dann sind undemokratische und spaltende Tendenzen im Spiel. Hass, Verteufelung und Hetze gegen andersdenkende Menschen sind ein Warnzeichen für unsere demokratische Gesellschaft.


Es erfordert viel Selbstdisziplin, sich konstruktiv für Opfer, Verfolgte, Minderheiten und LGBTIQA* einzusetzen, ohne selbst zu spalten, regressiv zu werden, andere zu entmündigen und eigenen Projektionen nicht zu erliegen.

Der aufgesetzten Politischen Korrektheit geht es weniger um Solidarität und Zusammenschluss, dem Miteinander als den Kampf GEGEN etwas. Sie neigt zu einem spaltenden, dualistischen Weltbild und hat den narzisstischen Anspruch, auf der Seite der Guten zu stehen. Sie unterteilt die Welt in Gut und Böse, vertritt utopische, grandiose Ideale, die keiner erfüllen kann, argumentiert oft kalt, hasserfüllt und verkopft, neigt zur Rache und ist mitunter hochgradig intolerant. Viele ihrer Mitläufer*innen sind selbst seelisch verwundet oder traumatisiert und geben die eigene erlittene Gewalt nun an andere weiter. Damit werden sie selbst zu Täter*innen. Ihr Haus ist auf Sand gebaut.


Im Falle der missbräuchlichen Politischen Korrektheit wird deutlich, dass es sich um eine Ideologie handelt. Die Vertreter*innen dieser spaltenden Ideologie wähnen sich selbst in einer allwissenden und unangreifbaren Machtposition und schreiben sich selbstherrlich und grandios Unfehlbarkeit zu. Hier wird die pervertierte Politische Korrektheit wie eine Sekte oder radikale Religionsgemeinschaft, weil sie keinen nachdenklichen Diskurs mehr zulässt. Eine solche Haltung kann nur als narzisstisch gewertet werden, da die Abart der Politischen Korrektheit andere Werte, Überzeugungen und Weltanschauungen verurteilt und massiv abwertet (siehe das Statement der Jungpolitikerin unten, dass ich rassistisch sei).


Die echte politische Korrektheit ist eine ethische Grundhaltung, welche den Menschenrechten verpflichtet ist und ihrerseits nicht gewaltvoll wird. Sie darf nicht nur auf Idealen und intellektuellen Einsichten beruhen, sondern muss auch von Humanismus, Menschlichkeit, Weisheit, Altruismus und Güte durchdrungen sein. Es geht ihr darum, Leid zu vermindern, ohne aus einer eigenen emotionalen Notlage heraus zu handeln, Andersdenkende abzuwerten oder durch persönliche Defizite, Vorteile, Motivationen und eigene Traumen getrübt zu sein.

Film: "Sollten Weiße keine Dreadlocks tragen?"

Auch Bewegungen wie Fridays for Future, politische Parteien und Menschenrechtsorganisationen bedürfen immer der Supervision, in der eigene Abgründe, Schattenseiten, unbewusste Motive und Abwehrmechanismen reflektiert werden sollten, um damit einen guten, konstruktiven und eigenverantwortlichen Umgang zu finden. 


Fragen zu Blackfacing und Indianer-Kostümen

Wenn Blackfacing oder Kostümierungen Wut und Empörung in mir auslösen, dann kann ich mir folgende Fragen zur Selbsterforschung stellen, um dann gut meine Haltung vertreten zu können:


  • Wie geht es mir selbst damit, wenn ich Menschen sehe, die sich im Fasching als Indianer verkleiden oder wenn einer der Sternsinger*innen ein dunkel angemaltes Gesicht hat? Was bewegt mich da innerlich? Welche Gefühle und Impulse kommen dann in mir hoch? Was würde ich spontan am liebsten tun, machen und sagen? Was würde der kleine Neanderthaler in mir gerne tun, wenn alles keine Konsequenzen hätte? Gibt es Wutphantasien? Wie ist es für mich?
  • Wenn dies etwa Wut, Angst, Zorn, Ärger, Groll oder Empörung in mir auslöst: Verstehe ich diese Emotionen? Was verstehe ich an diesen Emotionen nicht? Was brauche ich, um meine Emotionen und Handlungsimpulse besser zu verstehen, und wie kann ich sie noch besser verstehen?
  • Verstehe ich, dass sich andere Menschen im Fasching als Indianer verkleiden möchten oder sich im Brauchtum das Gesicht dunkel bzw. schwarz färben (Mohrenkönig Caspar)? Was könnte diese Menschen bewegen? Was brauche ich, um sie besser zu verstehen?
  • Wie ist das für mich? Wenn es für mich im tiefsten Innersten nicht stimmt, dass andere Menschen sich das Gesicht dunkel färben oder als andere Ethnie verkleiden: Wie kann ich konstruktiv und gut damit umgehen und mir selbst und meiner Haltung dabei treu bleiben? Wie kann ich mit diesen Andersdenkenden in einen guten, personalen Dialog treten? Was würde ich am liebsten tun und was kann ich ganz konkret tun? Stimmt dies dann im Kontakt mit den betreffenden Menschen für mich?
  • Was brauche ich von mir selbst oder meinen Mitmenschen, um meine Haltung stark und konstruktiv zu vertreten, sodass ich meinem eigenen Gewissen und meinen ethischen Überzeugungen, aber auch meinem Menschenbild (gehen wir mal davon aus: meinem Humanismus, meiner demokratischen Grundhaltung, meinem Glauben) gerecht bleibe? Wie mache ich das und mit welchen Mitteln?


Komplexer wird es freilich, wenn Menschen traumatisiert sind und die eigene erlittene Gewalt im Außen bekämpfen, wobei sie dann selbst zu Täter*innen werden. Traumen äußern sich u.a. in Hass, ausagierter Rache oder in impulsivem Verhalten. Aus diesem Grund diskriminieren verfolgte und diskriminierte Minderheiten oft andere Minderheiten oder Personen und geben so unbewusst die eigenen Verletzungen an ihre Mitmenschen weiter.


Ein Beispiel:

Im Sommer 2022 wurde eine hellhäutige Entwicklerin von Videospielen in den sozialen Medien von einem farbigen Jugendlichen als "weiße Schlampe, die sterben solle" beschimpft. Die Entwicklerin hatte nämlich für ein Videospiel einen Avatar dunkler Hautfarbe entwickelt. Der jugendliche Täter postete, dass es der weißen Frau nicht zustünde, einen dunkelhäutigen Avatar zu kreieren. Zudem bezeichnete er die Dreadlocks der Videospielentwicklerin als kolonialistische Vereinnahmung.

Es liegt auf der Hand, dass der Jugendliche auch ein Opfer von Hass und Rassismus ist. Er geht aber nicht konstruktiv mit seinen biographischen Wunden und der erlittenen Gewalt um, sondern macht sich selbst zum hasserfüllten Täter und die Entwicklerin zum Opfer.

Ich selbst spüre Wut und Empörung über die psychische Gewalt, die hier reinszenierend von dem Jugendlichen ausgeht. Meine Wut richtet sich gegen den jungen Mann, aber auch auf die feige, anonyme und schweigende Masse, welche die Beschimpfung der Frau geliked hat. Sie macht sich durch das Teilen und Liken der rassistischen Beschimpfung als "weiße Schlampe" mitschuldig und agiert ihren Rassismus blind und tollwütig aus. Massenhysterische Phänomene finden sich heute oft im Internet.


Update

Eine Salzburger Jungpolitikerin nigerianischer Herkunft hat mich aufgrund dieses Beitrages mit sehr scharfen Tönen als rassistisch und selbst gewaltvoll beschimpft, und das öffentlich auf einer Social Media Plattform. Als Psychotherapeut solle ich so etwas nicht schreiben, mein Beitrag habe sie tief verletzt. Dabei hat sie mir Dinge unterstellt, die sie selbst in ihrem übergriffigen Posting macht bzw. reinszeniert. Auf diese Weise wurde sie selbst diskriminierend (wegen einer anderen Weltanschauung, hier der Tiefenpsychologie).

Auffallend sind der scharfe, impulsive, aggressive Unterton, der keinen Raum für Diskurs eröffnet, die mangelnde Selbstdistanzierung von der eigenen Betroffenheit, die Vorwürfe und Schuldzuweisungen und der sofortige Abbruch durch das Blocken.


Genau das meine ich in diesem Beitrag: Es gibt nur noch Schwarz oder Weiß, Gut oder Böse, ganz oder gar nicht, rassistisch oder Gutmensch. Hier werden dann Menschen, die zweifellos gute Absichten haben, selbst diffamierend, übergriffig und gewaltvoll.

Die Jungpolitikerin hat nicht den nachdenklichen, phänomenologischen und personalen Dialog gesucht, sondern sie hat mich umgehend auf Facebook geblockt.

Der konstruktive Dialog, in dem sie und ich voneinander hätten lernen können und echtes Interesse und Verständnis hätten entstehen können, wird erst gar nicht gesucht. Eine andere Meinung wird sofort unter "rassistisch" diffamiert. Spaltung, Abstempeln und Blocken sind eben einfacher als offenes Interesse.


Die Jungpolitikerin, die mich als rassistisch beschimpft, erkennt dabei nicht mehr, dass wir beide auf derselben Seite stehen und viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede haben. Im Zustand der Spaltung geht ihr die gesunde Realitätsprüfung verloren. Spaltung bedeutet immer auch Realitätsverzerrung.

Ich habe den Impuls, sie anzufragen, interessiere mich, was sie bewegt, so zu spalten. Dem weicht sie allerdings aus.

Auch die Botschaft, ich solle mich doch bitte nicht zum Opfer machen, erlebe ich wiederum als nicht-validierend und gewaltvoll. Genauso agieren Täter*innen. Hier wird etwas reinszeniert.


Denn systemisch betrachtet bestimmt niemals der Sender einer Botschaft deren Bedeutung, sondern immer der Empfänger.

D.h. nichts hat an sich Bedeutung, sondern diese wird immer vom Beobachter gegeben. Grundsätzlich hat nichts Bedeutung, solange diese nicht gegeben wird. Die erwähnte Jungpolitikerin sollte sich fragen: "Interessant, dass ich diesen Text vom Florian als rassistisch interpretiere und wahrnehme. Und was hat es mit mir zu tun?"


Diese Spaltung zwischen Menschen, die nicht rassistisch sind, sich beide für Menschenrechte einsetzen, ähnliche Positionen vertreten und sich einer wichtigen Sache verschreiben, spielt nun dem Rassismus, der Homophobie und Xenophobie sowie rechtsextremen Tendenzen geradezu in die Hände und ist äußerst kontraproduktiv.

Statt Solidarität kommt es zu Schismen, und es entsteht ein regelrechter Konkurrenzkampf, wer denn nun der/die bessere Helfer*in oder Menschenfreund*in, wer denn nun "päpstlicher als der Papst selbst" sei.

Ein solidarisches Miteinander ist auf diesem Weg nicht mehr möglich. 

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